Die Clans von Stratos
dröhnte ein Chor von Frauenstimmen vom anderen Schiff herüber. Kiel reckte ihre Waffe hoch über den Kopf, und die Radis antworteten wie aus einem Mund: »Eia!«
Plötzlich zischten Enterhaken und ein Gewirr von Seilen durch die Luft. Die Verteidiger rannten los, um möglichst viele der sich festzurrenden Stricke zu kappen, ehe die beiden Schiffsrümpfe mit einem dumpfen Krachen aneinanderprallten. Noch mehr Enterhaken wurden geworfen. Mit lauten Kampfschreien stürmten die Freibeuter heran und griffen nach den herunterhängenden Seilenden. »Achtung, Mädchen… Achtung… Jetzt!« rief Naroin ihrer Gruppe zu.
Nur die Reflexe rissen Maia aus der Lähmung der Angst. Ihre Arme und Beine wußten, was zu tun war, aber ihre Kraft nährte sich nicht von Glauben, Vernunft, Mut oder einem anderen abstrakten Begriff. Nur der Wunsch, nicht zurückgelassen zu werden, brachte sie in Bewegung. Und die anderen nicht im Stich lassen zu wollen.
Aus vollem Hals schreiend, obwohl sie in dem wachsenden Getümmel bestimmt nicht zu hören war, marschierte sie los, die Hellebarde in die Hüfte gestemmt, um Naroins Flanke zu schützen. Der Kampf begann.
Es schienen unendlich viele zu sein. Anscheinend war das Piratenschiff bis zu den Schotten besetzt gewesen, denn immer mehr Kriegerinnen tauchten auf.
Nicht daß die erste Angriffswelle es leicht gehabt hätte. Sicher, sie waren Profis, aber es erforderte doch einige Anstrengung, von einem niedrigen auf ein weit höheres Deck zu klettern, während es von oben Netze, Öl und Holzklötze regnete. Naroin ging mit gutem Beispiel voran, verteilte Hiebe, packte die heranpreschenden Gegnerinnen, hob sie hoch, daß sie zappelten wie Fische an Land, und ließ sie dann über die Reling auf ihre Kollegen hinunterplumpsen. Als eine Angreiferin sich mit gefletschten Zähnen auf sie stürzte, ergriff Naroin sie an Haaren und Mieder, schwenkte sie herum und wirbelte sie aufs Deck, wo andere Frauen sich auf sie warfen, sie fesselten und nach achtern schleppten. Angeregt durch Naroins Vorbild, machten Kiel und eine große Radi aus Caria ebenfalls Gefangene, während Maia und die anderen auf sich festklammernde Fingerknöchel hämmerten, Hände von der Reling loshebelten und mit aller Kraft auf die von unten anstürmenden Massen einschlugen. Jedesmal, wenn eine Piratin abstürzte, durchströmte Maia ein Hochgefühl. Und wenn ein Hellebardenstreich ihr Gesicht um Haaresbreite verfehlte, verstärkte das pfeifende Geräusch, mit dem der Schlag ins Leere ging, ein hormonal gespeistes Gefühl der Unbesiegbarkeit, obwohl ihre Vernunft ihr sagte, daß dies eine Illusion war.
Immer mehr Piraten strömten von der Draufgänger herüber, wie ein Insektenschwarm, der sich trotz aller Anstrengungen nicht eindämmen ließ. Maia mußte die Faustschläge einer Korsarin parieren, die es geschafft hatte, sich rittlings über die Reling zu schwingen – eine große, geschmeidige Frau mit unregelmäßigen Zähnen und einigen scheußlichen Narben. Da Naroin vollauf mit einer anderen Feindin beschäftigt war, war von ihr keine Hilfe zu erwarten, und so versuchte Maia, das Brennen der Schweißtropfen in ihren Augen zu ignorieren und sich ganz auf den Schlagabtausch mit ihrer Gegnerin zu konzentrieren. Doch diese holte plötzlich aus und landete einen Treffer auf Maias linker Hand. Maia konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken und ließ um ein Haar die Waffe fallen. Fast hätte sie zu spät pariert, das nächste Mal wurde es noch später…
Zu ihrem Glück erschien im letzten Moment aus dem Nichts die Spitze einer Fanghellebarde, drängte sich unter Maias Arm hindurch und traf mit einem lauten Schlag die lederumwickelte Brust der Piratin, so daß sie das Gleichgewicht verlor. Maia zuckte zusammen, als hätte sie selbst den furchtbaren Schmerz gespürt, aber ihre Gegnerin stieß einen Fluch aus, kippte mit ausgebreiteten Armen nach hinten und schlug mit dem Oberkörper auf den Schiffsrumpf. Erstaunlicherweise gelang es ihr, sich mit einem narbigen, muskulösen Bein an die Reling zu klammern.
Augenblicklich erschien der nächste mit einem rotem Tuch umwickelte Kopf – eine Frau, die ihre Gefährtin einfach als Leiter benutzte. Nach kurzer Überwindung hakte Maia ihre Hellebarde um den Knöchel der ersten Angreiferin und befreite ihr Bein, so daß beide Eindringlinge abstürzten… hoffentlich auf das Deck des Piratenschiffs. Allerdings hätte es Maia auch nicht sonderlich gekümmert, wenn sie zwischen die beiden
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