Die Clans von Stratos
es eine vernünftige Vermutung gewesen, daß das Signal dort aufbewahrt wurde, wo ein Licht oder eine Laterne von einer anderen Insel gesehen werden konnte. Aber offensichtlich war Inanna zu gerissen, um ihr Versteck so zu wählen, daß es entdeckt werden konnte.
Plötzlich landete Maias Fuß auf etwas Trockenem und Knisterndem. Es klang laut genug, um Persephone im Hades zu wecken. Maia blieb sofort stehen und lauschte, was gar nicht so einfach war, weil ihr Herz heftig hämmerte, aber schließlich hörte sie wieder die leisen Schritte vor sich. Eine sternenbeschienene Gestalt durchbrach kurz das Gitterwerk der Bäume. Maia nahm die Verfolgung wieder auf, mit doppelter Wachsamkeit.
Zum Glück. Während die Wolken sich verdichteten und die Dunkelheit sich vertiefte, stieg ihr plötzlich ein Geruch in die Nase. Sie blieb wieder stehen. Der Wind hatte gedreht. Die Schritte vor ihr schwenkten abrupt nach links, und Maia begriff auch gleich, warum.
Direkt vor ihr, in der Richtung, in die sie bis eben gegangen war, kamen für kurze Zeit die Sterne hervor und schimmerten auf einer jäh abfallenden Steilwand. Es war der Krater – im Dunkeln noch weit erschreckender als bei Tageslicht. Der glasig beschichtete Abgrund gähnte nur wenige Meter von ihr entfernt, wie das Maul eines riesigen Urzeit-Ungetüms, das Appetit auf einen Mitternachtsimbiß verspürte. Maia schluckte. Dann wandte auch sie sich nach links und ging weiter, den Boden vor ihren Füßen stets im Auge behaltend. Glücklicherweise schien der Pfad vom Krater weg zu führen. Nach einer Weile hörte sie vor sich ein Geräusch, als kratzte Stein auf Stein. Maia machte halt und hörte das gleiche Geräusch noch einmal. Sie wartete.
Nichts. Stille. Nur der Wind in den Bäumen. Für den Fall, daß es sich um eine Falle handelte, blieb Maia sechzig weitere Sekunden lang stehen, die sie lautlos abzählte. Schließlich schlich sie weiter, in Richtung des letzten Knirschens, das sie gehört hatte. Ein Riß in der Wolkendecke nahe am Horizont zeigte eine Ecke der Konstellation Radler. Diese benutzte Maia als Bezugspunkt, während sie sich um Bäume und andere Hindernisse herumschlängelte, bis sie irgendwann zu dem Schluß kam, daß irgend etwas nicht stimmte.
Bin ich zu weit gegangen?
Sie sah und hörte niemanden. Der Gedanke an einen Hinterhalt war nicht von der Hand zu weisen.
Nach zwei weiteren Schritten verließen ihre Füße den Lehmboden. Sie schienen auf einen sandigen Untergrund zu stoßen, der in regelmäßigen Abständen von feinen Rillen durchzogen war. Als Maia um sich spähte, bemerkte sie, daß sie mitten zwischen massigen Felsklötzen stand, in einer Lichtung, auf der nicht einmal Schößlinge wuchsen. Sie streckte die Hand nach dem nächsten Haufen verwitterter Steine aus. Bearbeiteter Steine, mit abbröckelnden rechtwinkligen Kanten. Offenbar stand sie in einer der Ruinen, die es überall auf dem Inselplateau gab. Es gab kaum eine bessere Stelle für eine Falle.
Lautlos tastete sie sich bis ans Ende der Mauer vor. Sie schlich sich um die Ecke und vergewisserte sich, daß niemand auf der anderen Seite lauerte. Jedenfalls nicht hinter dieser Mauer. Maia kniete nieder und legte ihr Gepäck auf die Erde. Dann schloß sie ein Auge, um die Anpassung an die Dunkelheit nicht zu verlieren – das hatte ihr der alte Bennett vor langer Zeit in einer Astronomie-Nacht beigebracht – und hob die Tasse mit der Glut. Schützend hielt sie eine Hand davor und blies hinein, bis die Asche an einigen Stellen zu glühen begann, stellte die Tasse ab und legte den Stab mit dem umwickelten Ende darauf. Nun nahm Maia das Steinmesser in die linke Hand und packte den Stab mit der rechten. Qualm kräuselte sich von seiner Spitze empor.
Dann flammte die Fackel mit einem lauten Zischen auf. Rasch erhob sich Maia und hielt sie in die Höhe, hinter ihren Kopf, so daß sie überallhin leuchtete, nur nicht in ihre Augen. Harte Schatten huschten über die hellen Steinmauern und Baumstämme. Um den Überraschungseffekt auszunutzen, rannte sie los, um die Ruine auszuleuchten und in alle Ecken spähen zu können, solange sich Inanna noch die Augen rieb.
Nichts geschah. Maia ging noch einmal umher und kontrollierte selbst die niedrigen Zweige, unter denen sich jemand versteckt halten konnte. Sie machte sich jederzeit darauf gefaßt, die Fackel als Waffe benutzen zu müssen.
Verdammt. Inanna muß gerade weit genug weg gewesen sein, als ich die Fackel angezündet habe. Pech. Ich
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