Die Clans von Stratos
war nicht gespielt.
»Na also, wärmt dich das nicht auf? Frost für die Nase und Flammen für den Bauch. Was Besseres gibt es nicht, sag ich immer.«
Tatsächlich spürte Maia, wie sich trotz der geringen Menge, die sie intus hatte, eine angenehme Wärme in ihr ausbreitete. Als Inanna sie drängte, noch einen Schluck zu nehmen, hielten sich Anziehung und Abneigung die Waage, und die Entscheidung fiel ihr tatsächlich schwer. Obwohl sie sich Mühe gab, schwappten ihr einige Schlucke mehr durch die Kehle, als sie beabsichtigt hatte. Der Schnaps brannte wie Feuer in ihren Eingeweiden. Als sie die Flasche zum dritten Mal ansetzte, gelang es ihr besser, das Zeug aufzuhalten, aber die Dämpfe stiegen ihr in die Nase, daß ihr ganz schwindlig wurde.
»Danke. Es scheint… zu funktionieren«, sagte Maia langsam, mit ausgesucht klarer Stimme, als wäre sie leicht angeheitert, wollte es sich aber nicht anmerken lassen. »Aber jetzt sollte ich mich trotzdem… trotzdem lieber hinlegen.« Bedächtig hob sie ihren Teller und ihre Tasse auf und schlurfte zu ihrer Decke am Rand des Lagers. Hinter sich hörte sie eine Frau sagen: »Schlaf gut und fest, Fräuleinchen.« Der zufriedene Unterton in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Maia benahm sich weiterhin wie eine müde Fünfjährige, die froh ist, sich endlich für die Nacht zusammenrollen zu dürfen. Innerlich ging sie jedoch fest davon aus, daß ihr Verdacht berechtigt war. Sie legte sich unter die Decke, behielt aber Inanna, die von der Feuerstelle zu ihrem Bett auf der anderen Seite des Lagers zurückging, die ganze Zeit über im Auge. Als die Matrosin sich niederließ, war sie nur noch als eine dunkle, wartende Silhouette zu erkennen.
Früher wäre ich ihr nie auf die Schliche gekommen, dachte Maia. Nicht bis ich von Tizbe und Kiel und Baltha – und von Leie – gelernt habe, wie hinterlistig und gemein Menschen sein können. Inzwischen kommt es mir vor, als wüßte ich es von Anfang an, wie ein Muster, das sich langsam entfaltet.
Bei der Abstimmung über den Floßbau hatte es angefangen. Naroin hatte recht. In dieser Inselgruppe konnte man sich in einem kleinen Boot mit einem Segel und einem Kielschwert – einer in den Kiel einlaßbaren Platte zur Stabilitätserhöhung – zwischen Untiefen und kleineren Inselchen hindurchschlängeln, und man hatte eine gute Chance zu entkommen, selbst wenn man entdeckt wurde. Ein großes, behäbiges Floß dagegen war eine leichte Beute.
Dabei ging man davon aus, daß die Seeräuberschiffe in der Nähe waren und regelmäßig patrouillierten. Tatsächlich aber hatten die Ausguckposten in der ganzen Zeit, die sie nun auf der Insel festsaßen, nur zweimal in der Ferne ein Segel gesichtet. Es wäre schon ein großer Zufall, wenn die Piraten ausgerechnet dann auftauchten, wenn das Floß sich auf den Weg machte.
Es sei denn, jemand informiert sie.
Oberflächlich betrachtet war die Situation lächerlich.
Warum sollte man eine Gruppe erfahrener Matrosinnen ohne Bewachung auf einer Insel aussetzen? Die Piraten haben gewußt, daß wir versuchen würden zu fliehen. Hilfe zu holen. Die Polizei zu alarmieren.
Naroins mürrisches Gemurmel nach der verlorenen Abstimmung hatte Maia auf die Spur gebracht. Es gab einen Spion unter ihnen! Jemanden, der den unvermeidlichen Fluchtversuch so planen würde, daß er angreifbarer und damit leichter zu vereiteln war. Und vor allem jemanden, der in der Lage war, die Piraten rechtzeitig zu warnen, damit sie einen Hinterhalt vorbereiten konnten.
Was haben sie vor? Die Frauen auf dem Floß gefangennehmen und zurückbringen? Ein Fehlschlag würde sicher die Moral untergraben und weitere Fluchtversuche hemmen.
Aber das würde nicht verhindern, daß andere es probieren. Bestimmt wollen sie die Flüchtlinge in ein anderes Gefängnis bringen, eins, das so sicher ist wie das, in das sie Renna und die Radis gesteckt haben.
Aber nein. Warum hatten sie die Matrosinnen dann nicht gleich dorthin gebracht?
Maia fiel nur eine einzige logische Erklärung ein. So skrupellos sie sich während und nach dem Überfall auch über den Kampfcodex hinweggesetzt haben – sie würden sicher nicht so weit gehen, Gefangene zu töten. Nicht vor so vielen Zeugen: die Männer der Draufgänger. Renna. Nicht mal ihrer eigenen Crew konnten die Seeräuber hundertprozentig trauen, daß sie ein solches Geheimnis für sich behielten.
Aber wenn man sich später um die Angelegenheit kümmerte? Man nahm ein paar kleine Boote und besetzte sie
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