Die Clans von Stratos
Opfer gefallen…
Meine Aufseherinnen befehlen mir, nicht soviel zu quatschen, also versuche ich, mich präzise auszudrücken. Ich soll Dir mitteilen, daß Du mich erst zwei Tage nach dem Erhalt dieses Briefes als vermißt melden darfst. Tu weiterhin so, als wäre ich nach meiner Rede krank geworden. Ein paar werden Verdacht schöpfen, daß etwas nicht stimmt, andere werden sagen, ich führe den Rat an der Nase herum. Das spielt keine Rolle. Wenn Ihr meinen Entführern nicht die Zeit gebt, die sie brauchen, werden sie mich irgendwo begraben, wo Ihr mich nicht finden könnt.
Sie behaupten, Agenten bei der Polizei zu haben. Also würden sie es merken, wenn Ihr versucht, sie zu betrügen.
Ich soll Dich anflehen zu kooperieren, dann wird mein Leben verschont. Den ersten Entwurf des Briefes haben sie zerstört, weil ich mich an dieser Stelle etwas sarkastisch ausgedrückt habe, deshalb möchte ich hiermit einfach nur feststellen, daß ich zwar schon recht alt bin, aber nichts dagegen hätte, noch mehr vom Universum zu sehen.
Ich weiß nicht, wohin man mich bringt, denn nun ist der Sommer vorüber und die Reisemöglichkeiten unbegrenzt. Wenn ich Dir anhand dessen, was ich um mich herum sehe und höre, jetzt irgendwelche Hinweise gebe, muß ich den Brief noch einmal schreiben. Und dafür sind meine Kopfschmerzen zu schlimm, also lasse ich es lieber.
Ich will nicht behaupten, ich würde es nicht bereuen. Nur Idioten können so etwas sagen. Doch ich bin zufrieden. Ich habe gelebt und gearbeitet, habe viel gesehen und gedient. Einer der Reichtümer meiner Existenz besteht darin, daß ich eine Zeitlang auf Stratos verbringen durfte.
Meine Entführer sagen, sie werden bald mit Dir Kontakt aufnehmen. Bis dahin verbleibe ich mit herzlichen Grüßen
- Renna.
Kapitel 22
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In der fast vollständigen Finsternis streichelte sie Brods Stirn, schob sanft seine durchnäßten Haare von den trocknenden Wunden. Der junge Mann stöhnte und warf den Kopf hin und her, den Maia auf den Knien hielt. Trotz einer Menge größerer und kleinerer Verletzungen war sie dankbar für kleine Dinge – wie den schmalen Sandstreifen, auf dem sie lagen, ein winziges Stückchen über dem dunklen, kalten, trüben Wasser. Dankbar, daß sie diesmal nicht nach einem Schlag über den Kopf an irgendeinem gräßlichen Ort erwachte. Mein Schädel ist inzwischen so hart, daß ich beim nächsten Mal wahrscheinlich eher tot bin als bewußtlos. Aber das passiert nicht so schnell. Die Welt will sich vorher noch ein bißchen damit amüsieren, mich rumzuschubsen.
»Mm… Mwa… waa?« brummte Brod. Maia spürte es eher mit den Händen, denn ihr Gehör war von den Kanonenschlägen noch immer etwas betäubt. Obgleich er ohnmächtig war, hatte Brod offenbar immer noch das Gefühl, irgendwelche dringenden Dinge erledigen zu müssen. »Psst, alles in Ordnung«, sagte sie beschwichtigend, wenn auch kaum fähig, ihre eigenen Worte zu verstehen. »Ruh dich aus, Brod. Eine Weile kümmere ich mich um alles.«
Ob er sie gehört hatte oder nicht, er wurde tatsächlich etwas ruhiger. Zwar spürten ihre Finger weiterhin die Sorgenfalten auf seiner Stirn, aber wenigstens warf er sich nicht mehr dauernd herum. Und sein Stöhnen wurde so leise, daß sie es kaum mehr wahrnahm.
In seinen letzten Augenblicken hatte ihr sterbendes Boot sie hierher in diese Höhle ausgespuckt, während hinter ihnen die Buchteinfahrt im Felsregen der Explosionen eingestürzt war. In dem höllischen Chaos von Wasser und Sand, mit von Kanonendonner dröhnendem Kopf, hatte Maia verzweifelt die Arme nach Brod ausgestreckt, ihn an den Haaren gepackt und an die schaumige, nicht recht definierbare Oberfläche gezogen. Oben und unten waren in der Hektik nicht auszumachen, aber Maia hatte inzwischen gelernt, immer die Luft zu suchen. Mit schmerzenden Lungen kämpfte sie gegen teuflische Strömungen, die sie mitzureißen drohten, und schließlich gerieten ihre Füße auf schlammigen Untergrund. Brod hinter sich herziehend, kletterte sie heraus, hievte ihren Freund ein Stück über die Wasserlinie und ließ sich neben ihn fallen, um in der undurchdringlichen Finsternis festzustellen, ob er noch atmete. Glücklicherweise hustete er das eingeatmete Wasser gleich aus, und Maia fand keine gebrochenen Knochen. Er würde überleben… vorerst jedenfalls.
Alles in allem waren die Verletzungen harmlos. Wenn das Boot intakt geblieben wäre, hätte es uns gegen eine unterirdische Wand geschleudert. Bei dem
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