Die Clans von Stratos
Schalenschicht erstreckte sich nach oben über ihre Reichweite hinaus, was ihre Vermutung bestätigte, daß auch die Flut höher stieg, als Maia sich recken konnte.
Doch sie gab die Hoffnung nicht auf und tastete sich weiter von rechts nach links. Auf einmal spürte sie eine leichte Steigung unter ihren Füßen… leider nicht weiter als etwa einen Meter. Doch das war schon ein entscheidender Unterschied. An der Grenze, die Maia erreichte, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, kam sie mit den Fingerspitzen über die schleimige Kruste aus Muscheln hinaus und spürte den glatten Stein.
Die Hochwassermarke. Die Decke liegt also über der Flut! Das eröffnete neue Möglichkeiten. Angenommen, ich kriege Brod rechtzeitig wach. Könnten wir dann Wasser treten und uns von der Strömung hinauftreiben lassen, so daß wenigstens unsere Köpfe trocken bleiben?
Nicht ohne etwas, an dem sie sich festhalten konnten, das wurde Maia rasch klar. Sonst würden die Wellen sie wahrscheinlich erst gegen die Wand schleudern und dann in kleinen Stückchen hinaussaugen, bis sie sich zu dem Geröll gesellten, das nach dem Bombardement der Freibeuter draußen herumlag.
Die einzige echte Hoffnung bestand darin, daß es oben eine Spalte oder einen Vorsprung gab. Falls wir es schaffen, rechtzeitig hochzukommen.
Sie kehrte zu Brod zurück und fand ihn friedlich schlafend. Maia bückte sich ein zweites Mal, um den Jungen ein Stück weit die Steigung emporzuziehen. Dann begann sie, die Höhlenwand zu untersuchen, arbeitete sich weiter nach rechts vor, tastete suchend über die Muscheln, ob es irgendeinen Hinweis auf einen Pfad gab, der sie über die tödliche Linie hinausbringen konnte. An einer Stelle zog sie schnell die Hand zurück, denn sie hatte sich noch schlimmer geschnitten als bisher. Sie steckte den Finger in den Mund, schmeckte das Blut und fühlte einen ausgefransten Schnitt. Hoffentlich lebst du lang genug, um dich an einer neuen Narbe zu freuen, dachte sie und nahm die Suche wieder auf, nach einem Vorsprung, einer Ritze, irgend etwas, das auf einen Weg nach oben schließen ließ.
Ein oder zwei Minuten später wäre Maia um ein Haar gestürzt, weil sich ihr Knöchel in etwas verfing. Sie bückte sich, um ihn loszumachen, und ihre Hände fühlten Holz – ein zersplittertes Brett, mit Leinwandfetzen und durchweichten Taustücken, Trümmer ihres Kleinboots, das sie zu Schrott gefahren hatten, ehe es überhaupt einen Namen gehabt hatte.
Fröstelnd fuhr sie mit ihrer eintönigen Arbeit fort, deren unerwünschter Höhepunkt darin bestand, daß sie mit den Umrissen einer besonders unangenehmen, aber gut gepanzerten Unterwasser-Lebensform Bekanntschaft machte. Eine Weile später bemerkte sie, daß sich die sandige Böschung wieder senkte und sie von ihrem Ziel weg, in Richtung des eiskalten Wassers führte.
Na ja, mir bleibt ja noch der Bereich links von der Stelle, wo Brod liegt. Doch sie hatte wenig Hoffnung, daß die Topographie dort anders sein würde.
Gerade als sie aufgeben wollte, glitt Maias Hand über… ein Loch! Zitternd befühlte sie seinen Rand. Es war eine Kerbe, etwa einen Meter oberhalb der Böschung. Hier konnte man sich mit dem Fuß abstützen, um emporzuklettern! Leider hatte die Sache einen entscheidenden Haken: Beim Klettern mußte man sich mit dem Händen an den scharfen Muschelschalen festhalten.
Maia drehte sich um, ging ein Stück zurück, wobei sie ihre Schritte zählte, und kniete sich dann bei den Wrackteilen nieder, die sie vorher gefunden hatte. Sie riß die Segelreste in Streifen und umwickelte ihr Hände damit. Anschließend wand sie sich noch das längste Stück Tau über die Schulter, das sie finden konnte. Viel war es leider nicht. Beeil dich! Bald kommt die Flut.
Nach einigem Suchen fand sie den Spalt wieder. Glücklicherweise waren die Sohlen ihrer Lederschuhe noch fast intakt. Trotzdem zuckte Maia einen Augenblick zurück und stöhnte laut auf, als sie den Fuß in das Loch setzte, über sich griff und sich an einer dichten Muschelkolonie festklammerte. Die Schalen schnitten selbst durch das grobe Segeltuch. Doch sie biß die Zähne zusammen und stieß sich ab, spannte erst die Muskeln im einen, dann im anderen Bein und zog sich mit beiden Armen hoch. Auf einen Fuß gestützt, preßte sie sich an die Wand. Jetzt attackierten die scharfen Muschelschalen den ganzen Körper, nicht nur ihre Gliedmaßen.
Okay, und was jetzt?
Mit dem freien Fuß begann sie nach einem neuen Halt zu suchen. Es
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