Die Clans von Stratos
drohte, nahm Maia noch einmal alle Kraft zusammen und stürzte sich, schluchzend vor Erschöpfung, ein letztes Mal auf ihre Feindin. So gelang es ihr und ihrer Verbündeten schließlich, die wild um sich schlagende Wache direkt vor Kapitän Poulandres und seinen Männern auf den Boden zu werfen.
Als alles vorbei war, blieben sie röchelnd nebeneinander auf dem Boden liegen. Schließlich nahm Leie Maias Hand und drückte sie fest.
»In Ordnung…«, brachte sie japsend hervor, und machte dabei ein so zerknirschtes Gesicht, wie es Maia in all den Jahren ihres gemeinsamen Heranwachsens nie gesehen hatte. »…Anscheinend hat mein Plan… doch nicht so gut funktioniert. Laß mal deinen hören.«
Die Ecke, von der aus Maia Baltha und Togay beobachtet hatte, war gut geeignet, den Korridor unter Beschuß zu nehmen. Doch zunächst zögerte Poulandres. Er und seine Männer waren zwar tapfer, wütend und sich vollkommen darüber im klaren, welches Schicksal sie erwartete, falls sie noch einmal gefangengenommen wurden. Doch keiner von ihnen wollte die automatische Waffe auch nur anfassen.
»Sieh mal, es ist doch ganz einfach. Ich hab solche Gewehre schon öfter gesehen. Man muß nur den Hebel hier bedienen…«
»Ich weiß, wie sie funktioniert«, fauchte Poulandres. Dann schüttelte er den Kopf und hob beschwichtigend die Hand. »Hört zu, ich bin euch sehr dankbar… Wir helfen euch, so gut wir können. Aber wäre es nicht besser, wenn eine von euch beiden das Ding bedient?« Angewidert wandte er den Blick von der tödlichen Metallmaschine ab.
Ehe sie Renna kennengelernt hatte, hätte Maia vielleicht anders reagiert – mit Unverständnis und Verachtung. Doch jetzt wußte sie, wie solche Verhaltensmuster, die Lysos angelegt hatte, über die Jahrtausende verstärkt worden waren, ebenso mit Hilfe von Mythen und Konditionierung wie durch Gene und Reflexe, alles mit dem Ziel, daß die Männer jede Gewaltanwendung gegenüber Frauen verabscheuten.
Aber die Menschen waren flexible Wesen. Die kriegerische Essenz war nicht gänzlich ausgemerzt, nur unterdrückt, schematisiert, kontrolliert. Eine starke Motivation war nötig, um einen anständigen Mann wie Poulandres von der Notwendigkeit des Tötens zu überzeugen, aber Maia bezweifelte nicht, daß es möglich war.
Ringsum rieben sich die Männer der Besatzung die Knöchel an den Stellen, wo die Fesseln gedrückt hatten, mit denen sie an die in einem Halbkreis angeordneten Steinbänke gekettet gewesen waren. Dort schmachteten nun drei halb bewußtlose, geknebelte Frauen. Ein paar Männer stocherten angeekelt in einem der umgekippten Eimer. Vielleicht sollte jemand das Zeug aufbewahren, dachte Maia. Sie mußten sich auf einen langen Belagerungszustand gefaßt machen.
Doch zunächst waren andere Dinge wichtiger. »Ich habe keine Zeit für lange Erklärungen«, sagte sie zu Leie. »Bring du es ihm bei. Und vergiß nicht nachzusehen, ob noch weitere Treppen auf diese Ebene führen. Wir wollen nicht, daß uns jemand in die Flanke fällt.«
»In Ordnung, Maia«, antwortete Leie ergeben. Während sie sich von dem Kampf erholten, war kaum mehr als ein Moment Zeit für Wiedersehensfreude geblieben. Maia war auch noch nicht zu einer endgültigen Versöhnung bereit. Zuviel war geschehen, seit der Sturm damals zwei verträumte Sommerkinder voneinander getrennt harrte. In einer Weile würde sie vielleicht bereit sein, Leie wieder zu vertrauen – vorausgesetzt, sie verdiente es.
Die gräßliche Waffe vorsichtig vor sich hertragend, begleitete Leie Poulandres und einige Besatzungsmitglieder den Korridor hinunter. Auch Maia hatte etwas zu erledigen. Aber als sie losgehen wollte, hielt jemand sie am Bein fest.
»Warte mal«, befahl der Schiffsarzt, während er den Verband aus Stoffstreifen auf Maias aufgeschlitztem Knie befestigte. »Hier, das war das Schlimmste. Was den Rest deiner Wunden angeht…«
»Die müssen warten«, beendete Maia den Satz mit fester Stimme und schüttelte den Kopf, um zu zeigen, daß jeder Protest zwecklos war. »Danke, Doc«, sagte sie noch, ehe sie humpelnd aus dem Gefängnis eilte. An der Tür wandte sie sich nach links, zu dem zweiten großen Raum, in dem sie Baltha und die anderen Piratenführerinnen streiten gesehen hatte. Ein junger Mann begleitete sie – der Kabinenjunge, der damals auf der Manitou zum gegnerische Team beim Spiel des Lebens gehört hatte. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Maia auf den neuesten Stand zu bringen, was geschehen
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