Die Clans von Stratos
im geistigen und künstlerischen Bereich, im Abenteuer und im Gesang freien Lauf gelassen. Sie haben die Natur nicht nach Lust und Laune zurechtgebogen und drangsaliert.
Sicher, diese unsere Vorfahren führten in den Urwäldern der Alten Erde ein Leben, das nur eine Stufe über den Tieren stand. Ein hartes Leben, vor allem für die Frauen, doch es hatte auch seine guten Seiten – Harmonie, Stabilität, das sichere Bewußtsein, wer man war und wo man in den Plan der Welt hineinpaßte. All diese Vorzüge sind verlorengegangen, als wir den Weg des ›Fortschritts‹ einschlugen.
Verhalten sich Wissen und Weisheit umgekehrt proportional? Manchmal scheint es mir, als verstünden wir immer weniger, je mehr wir wissen.
Ich bin nicht die erste, die dieses Dilemma zur Sprache bringt. Erst in jüngster Zeit schrieb ein Gelehrter: »Lysos und ihre Jünger laufen dem Sirenengesang des Pastoralismus nach, wie zahllose Romantiker vor ihnen. Sie idealisieren ein vergangenes Goldenes Zeitalter, das es nie gegeben hat, sie streben eine heitere Gelassenheit an, die nur in der Phantasie existiert.«
Dieser Punkt ist absolut zutreffend. Aber sollen wir es deshalb nicht versuchen?
Das Paradoxon entgeht mir nicht – daß wir nämlich beabsichtigen, fortschrittliche technische Errungenschaften dafür zu verwenden, die Voraussetzungen für eine stabile Welt zu schaffen… eine Welt, in der solche Errungenschaften kaum mehr vonnöten sein dürften.
Also kehren wir zu den anstehenden Fragen zurück. Sind die Menschen wirklich zur Unzufriedenheit verdammt? Gefangen in widerstreitenden Sehnsüchten mühen wir uns ab, Götter zu werden, obwohl wir uns doch noch immer danach sehnen, Gottes geliebte Kinder zu bleiben.
Soll dieses Streben doch den hektischen, gehetzten Phylumgesellschaften zum Schicksal werden. Wir, die wir uns auf diese Reise begeben, haben uns für eine wärmere, weniger feindselige Beziehung zum Kosmos entschieden.
- Aus Mein Leben, von Lysas
Kapitel 26
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Daß Maia das Bewußtsein verlor, war nicht auf ihre Verwundungen zurückzuführen und auch nicht auf den durchdringenden Geruch der Narkosemittel. Ihre Moral war einfach unter den Punkt totaler Erschöpfung gesunken. Ferne Empfindungen sagten ihr, daß die Welt sich weiterdrehte. Es gab Geräusche – angstvolle Schreie und dröhnendes Gewehrfeuer. Als diese verstummten, erschollen laute Schreie – Triumph und Verzweiflung. Laute drängten sich an ihr Ohr, versuchten zu ihr vorzudringen, aber nichts brachte Maia dazu, sie aufzunehmen.
Schritte näherten sich. Hände berührten ihren Körper, schafften Gegenstände weg, und der Schmerz ihrer Verletzungen wurde ersetzt von dem Schmerz, daß man sich an ihr zu schaffen machte. Doch Maia achtete nicht darauf. Stimmen tuschelten ringsum, angespannt und eindringlich. Ohne sich darum zu scheren, stellte Maia fest, daß mehr als zwei Parteien eine erhitzte Diskussion führten, aber keine stark genug war, der anderen ihren Willen aufzuzwingen, aber auch keine genug Vertrauen genoß, daß man sie einfach machen ließ.
Sie konnte keine Spur von bösem Willen oder Rachsucht in der Art erkennen, wie man sie aus dem hellen, ozondurchtränkten Raum in dem hohlen Bergzahn wegtrug. Während sie auf der Trage durchgerüttelt wurde und mit leisem Stöhnen jeden Stoß in ihrem ausgelaugten Körper quittierte, war ihr abstrakt klar, daß ihre Träger es gut mit ihr meinten. Sie behandelten sie sanft und vorsichtig. Das mußte etwas zu bedeuten haben.
Sie wünschte sich nur, sie hätten sie in Ruhe sterben lassen.
Aber der Tod kam nicht. Statt dessen machte man sich an ihr zu schaffen, stocherte, schnitt, nähte und setzte sie unter Drogen. Irgendwann war es dann eine ganz simple Empfindung, die ihren Lebenswillen zumindest teilweise zurückkehren ließ.
Pfannkuchen.
Der Duft frischer Pfannkuchen stieg ihr in die Nase. Weder ihre Verletzungen noch die Apathie konnten verhindern, daß ihr das Wasser im Mund zusammenlief. Maia öffnete die Augen.
Das Zimmer war weiß. Eine elfenbeinfarbene Decke mit weißer Stuckarbeit an der Rändern ging über in Wände von der Farbe frisch gefallenen Schnees. Durch die Schlafmittel war Maia noch so benommen, daß sie die glatten Fläche nicht richtig fixieren konnte. Ohne daß sie sich bewußt dazu entschloß, begann sie in Gedanken mit einer der Wände zu spielen und stellte sich auf ihr ein abstraktes, sich rhythmisch veränderndes Muster vor. Maia stöhnte und schloß
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