Die Clans von Stratos
sie das nächste Mal aufwachte, beugte sich eine Frau mittleren Alters über sie und berührte sanft ihren Kopf. Ein leises Klicken war zu hören, und Maia schien plötzlich klarer zu sehen. Heftige Gefühle wallten auf, und sie verkrampfte sich. »Es ist nicht zu schlimm, oder?« fragte die Frau. Ihrem Verhalten nach zu schließen, war sie Ärztin.
»Ich… ich denke nicht.«
»Gut. Dann lassen wir es eine Weile so. Und jetzt sehen wir uns mal unsere Arbeit an.«
Energisch zog die Ärztin Maias Hemd zurück und entblößte ein Stück purpurrote Haut, die sie beide mit leidenschaftslosem Interesse betrachteten. Verfärbte Stiche zeigten, wo genäht worden war, unter anderem in einem Halbkreis unterhalb des Knies. Die Ärztin tat sehr ernst, gab ein paar besänftigende, herablassende und letztlich uninformative Laute von sich und verschwand wieder.
Als die Tür aufging, sah Maia eine große Frau in soldatischer Haltung Wache stehen; sie trug eine Milizuniform. Hinter ihr glänzten die dunklen, spitz zulaufenden Platten der Sonnenkollektoren. Maia hörte das leise Plätschern von Wasser an einem glatt beschichteten Rumpf. Das ruhige Dahingleiten des Schiffes deutete einerseits auf das Wetter hin, das hell und schön war, aber auch auf die ausgeklügelte Technik. Auf diesem Schiff reisten gewöhnlich hochgestellte Persönlichkeiten.
Aber die Persönlichkeit, die abgeholt werden sollte, hat etwas Unerwartetes getan. Sie hat ihr eigenes Transportmittel gewählt, und fast wäre ihr die Flucht gelungen.
Diese Wunde war noch zu frisch, zu schmerzhaft. Was ihr an dem Bild, das ihr durch den Kopf ging, am meisten weh tat, war die Schönheit der Explosion. Eine wunderbare Konvulsion von Funken und blitzenden Spiralen, die glühende Trümmer über den blauen, unschuldigen Himmel schleuderten. Bei der Erinnerung stiegen Maia die Tränen in die Augen, quollen über die Lider und rannen in salzigen Bächen über ihre Wangen.
Was sie erlebt hatte, als sie aus der langen Ohnmacht aufgewacht war, fühlte sich nicht wirklicher an als ein Traum. War Naroin wirklich dagewesen? Maia erinnerte sich daran, daß die Polizistin etwas von einem Brief gesagt hatte, und als sie sich umdrehte und auf den kleinen Tisch neben ihrem Bett blickte, sah sie dort ein ordentlich zusammengefaltetes, dickes Stück Papier mit einem Wachssiegel. Mit großer Anstrengung griff sie mit ihrer ungeschickten Hand danach. Dann ließ sie sich rasch wieder zurückfallen und wartete darauf, daß die Schmerzen etwas nachließen. Auf dem Brief stand ihr Name.
Von Brod und Leie, erinnerte sie sich. Jetzt fühlte sie die Freude… wenn auch abstrakt und farblos. Freude darüber, daß zwei Menschen, die sie liebte, noch am Leben waren. Es milderte das Verlustgefühl in ihrem Herzen ein kleines bißchen. Doch es wartete nur darauf, daß die Ärztin die Dosis im Agonpfropf verminderte, um sich wieder bemerkbar zu machen.
Zum Lesen sah sie noch zu verschwommen, also blieb sie liegen und streichelte das Papier. Es klopfte an der Tür. Sie ging auf, und Naroin streckte den Kopf herein. »Ah, du bist wieder bei uns. Das Frühstück hast du verpaßt. Willst du’s noch mal versuchen?«
Ohne Maias Antwort abzuwarten, verschwand sie. Also hob ich es mir nicht eingebildet, dachte Maia und begann sich zu überlegen, was das bedeutete. Was hatte Naroin hier zu suchen? Wo waren sie überhaupt? Und warum half Naroin, Maia zu pflegen? Als Polizistin hatte sie bestimmt Wichtigeres zu tun, als irgendein dahergelaufenes Sommermädchen zu verhätscheln.
Es sei denn, es hängt irgendwie damit zusammen, daß ich so viele Gesetze gebrochen habe… daß ich an allen möglichen Orten war, an denen ich nicht hätte sein dürfen… daß ich Dinge gesehen habe, von denen der Rat nicht will, daß sie bekannt werden.
Wieder klopfte es. Diesmal kam eine junge Frau mit einem zugedeckten Tablett. Maia wischte sich die Augen und sperrte sie verwundert auf.
»Wo soll ich es hinstellen?« fragte das Mädchen. Ihre Stimme war weicher, ein wenig höher, aber ansonsten fast identisch mit der, die Maia als letzte gehört hatte. Endlich begriff sie.
»Klone…«, murmelte sie. »Ein Polizeiclan?«
Das Mädchen war jünger als Maia. Wahrscheinlich ein Winter-Fünfer. Doch in ihrem Lächeln lag bereits eine Spur von Naroins entspanntem Selbstvertrauen. Sie stellte das Tablett auf die eine Seite des Bettes und machte sich dann daran, die Kissen zu schütteln und Maia beim Aufsetzen zu
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