Die Clans von Stratos
helfen.
»Detektive genaugenommen. Freischaffend. Unser Clan bleibt absichtlich klein. Wir spezialisieren uns auf Aufträge, die wir einzeln ausführen können. Normalerweise sieht man nie zwei von uns gleichzeitig außerhalb der Feste, aber mich hat man losgeschickt, als wir Naroins dringende Botschaft erhalten haben.«
Das war nicht leicht zu verdauen. Die Fünfjährige sprach mit einem forschen Oberschichtsakzent. Sie hatte keine von Naroins Narben. Aber in ihren Augen lag das gleiche Funkeln, der gleiche Tatendrang.
»Vermutlich befürchtet ihr nicht, daß ich eure Tarnung auffliegen lasse«, meinte Maia.
»Nein, man hat mich angewiesen, offen mit dir zu sprechen.«
Klar, was kann ich schon anrichten? Maia vertraute Naroin bis zu einem gewissen Punkt – jedenfalls glaubte sie daran, daß Naroin die Fäden ziehen würde, damit Maias nächster Käfig angenehmer war als alle, die sie zuvor bewohnt hatte. Das bedeutete aber nicht, daß sie Maia frei auf Stratos herumlaufen und alles ausplaudern lassen würde.
Das Mädchen stellte das Tablett behutsam auf Maias Schoß und deckte es auf. Anstelle der Pfannkuchen erschien eine medizinisch abgesegnete Schüssel mit dünnem Haferbrei, aber er roch so köstlich, daß Maia ganz flau wurde. Der Orangensaft lief ihr über die Finger, als sie den Becher mit zitternden Händen hochhob. Die rötliche Flüssigkeit schmeckte wie ein Göttertrunk.
»Ich warte draußen«, sagte die junge Frau. »Ruf mich, wenn du etwas brauchst.«
Maia brummte nur. Sie mußte sich konzentrieren, um trotz des Zitterns den Löffel mit dem Haferbrei zum Mund zu führen. Während ihr Körper sich bebend den einfachen, animalischen Genüssen von Schmecken und Sattwerden hingab, blieb ein kleiner Teil von ihr losgelöst und grübelte. Wie wohl ihr Familienname lautet? Ich hätte es wissen müssen. Naroin war immer viel zu kompetent, um bloß eine einfache Variantenfrau zu sein.
Früher oder später mußte Maia anfangen, sich endlich über ihre Vor- und Nachteile klar zu werden. Lieber später. Eins nach dem anderen – so wollte sie von nun an leben. Sie hatte nicht vor zu resignieren, aber sie war auch noch nicht bereit, linear zu denken.
Trotz ihres Hungers schaffte sie nur die Hälfte der Mahlzeit. Plötzlich war sie wieder müde und bat Naroins jüngere Ausgabe, das Tablett wegzubringen. Kein einziges Mal sah sie sich den ordentlich gefalteten Brief direkt an, aber sie blieb in Hautkontakt mit ihm, als drohte sie zu ertrinken und als wäre der Brief ein Stück Schiffsplanke, an der sie sich festklammerte.
Als sie das nächste Mal aufwachte, war es draußen dunkel. Ein Traum verflüchtigte sich, wie ein Geist, der vor der elektrischen Lampe auf ihrem Nachttisch floh. Ihre Haut prickelte und war schweißnaß. Noch immer waren ihre Gedanken seltsam uneinheitlich – im einen Moment klar und zusammenhängend, im nächsten plötzlich ganz woanders, wie Blätter im Herbstwind.
Dabei mußte sie an den alten Bennett und seinen Rechen denken, wie er im Hof der Lamatia-Feste gestanden hatte. Was würde er von dem halten, was ich erlebt habe… was ich gesehen habe? Wahrscheinlich lebte der Greis schon gar nicht mehr. Vielleicht war es auch am besten so, wenn man bedachte, was Maia getan hatte – sie hatte, wenn auch unabsichtlich, die Überreste der geheimen Hoffnung, die der alte Mann in seinem Herzen nährte, genau in die erzreaktionären Hände von Kirche und Regierungsrat geliefert. Im Lauf der Generationen, in denen geheime Logen ihn weitergegeben hatten, war der Traum verblaßt – wie sollten Männer auch jemals die Beständigkeit von Klonen aufbringen?
Renna, Bennett, Leie, Brod, die Radis, die Männer auf der Manitou… es gab Platz genug auf der Ehrenurkunde derer, die Maia im Stich gelassen hatte.
Hör auf damit, schalt sie sich. Die Karten sind vor langer Zeit gemischt worden. Gib nicht dir die Schuld an Dingen, die du nicht verhindern konntest.
Aber genausowenig wie sie dem Wind und den Gezeiten Einhalt gebieten konnte, gelang es ihr, die Schuldgefühle abzuschütteln, und sie waren um so schlimmer, als sie gar nicht genau sagen konnte, was sie denn nun falsch gemacht hatte.
Sie blickte auf den Brief in ihrer Hand. Rote Wachsstückchen von dem zerbrochenen Siegel lagen auf der Bettdecke. Maia versuchte, den Brief mit der Hand zu glätten, dann hob sie ihn ans Licht und spähte zwischen den Knittern auf eine schöne, flüssige Schrift.
Liebe Maia,
ich wollte, ich könnte bei
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