Die Clans von Stratos
Applaus und ein paar gutmütigen Buhrufen der Menge. Manche der Männer, die im Rhythmus der Trommel ihre kunstvoll geschmückten Modellschiffe und hölzernen Zeppeline auf den Schultern schleppten, wirkten fast verlegen, während andere stolz das Kinn reckten, als wollten sie sagen: »Wagt nur, euch über unser Ritual lustig zu machen!« Nur wenige der Zuschauer zeigten eine unfreundliche Reaktion, beispielsweise eine Gruppe von Frauen, die mit grimmigen Gesichtern stehenblieben und sich demonstrativ weigerten, den Weg freizumachen, so daß die Prozession gezwungen war, einen weiten Bogen zu schlagen.
Perkiniten. Maia ging weiter. Warum lassen sie die armen Männer nicht in Ruhe und suchen sich einen Gegner, der ihnen gewachsen ist?
In Lanargh gab es ein so vielfältiges Angebot an Dienstleistungen, daß Maia nur staunen konnte: von Handleserinnen und Berufshexen bis zu angesehenen Phrenologinnen, ausgerüstet mit Tastzirkeln, Schädelmeßbändern und komplizierten Tabellen. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, sich untersuchen zu lassen, aber dann betrachtete sie sich die Gerätschaften etwas näher und beschloß, daß an ihrer Schädelform ohnehin nichts zu ändern war.
Durch ein teures Glasfenster beobachtete Maia drei rothaarige Frauen mit hoher Stirn, die, über ledergebundene Mappen gebeugt, mit ihren Kunden verhandelten. Vergoldete Aushängeschilder wiesen darauf hin, daß es sich um die örtliche Niederlassung eines weit verbreiteten Familienunternehmens handelte, das einen kommerziellen Botendienst anbot. Auf einem anderen Schild warben die Rothaarigen für einen Ableger ihrer Branche – ein Unternehmen, das Privatsprachen für aufstrebende Clans entwarf.
»Na, wenn das mal keine gute Nische wäre«, murmelte Maia voller Bewunderung. Auf Stratos hing der persönliche Erfolg oft davon ab, ob man ein Produkt oder eine Dienstleistung entdeckte, auf die sich bisher niemand spezialisiert hatte. Bei dem Sprachunternehmen hätte Maia nur zu gern mitgemacht. Sie seufzte. »Schade, daß fast alles schon besetzt ist.«
»Es ist alles besetzt, Schwester. Weißt du das nicht? Das ist eins der prophezeiten Zeichen.«
Rasch wandte Maia sich um und sah sich einer jungen Frau gegenüber, ungefähr in ihrem Alter, etwa gleich groß, in einem Gewand mit den aufgestickten Streifen eines religiösen Ordens, vermutlich also eine Priesterin oder zumindest eine Geweihte. Sie hielt einen Stapel gelber Flugblätter in der Hand und starrte Maia durch dicke Brillengläser an.
»Ähh… Zeichen wovon, Schwester?« fragte Maia, nachdem sie ihre Überraschung einigermaßen überwunden hatte.
Ein freundliches Lächeln, das die glühende Leidenschaft jedoch nicht verbergen konnte. »Daß wir in die Zeit des Wandels eintreten. Sicher ist dir als einer klugen Fünfjährigen doch schon aufgefallen, wie viele Dinge auf der Kippe stehen? Die Clanmatronen beklagen sich schon lange über die steigende Sommer-Geburtenrate, aber unternehmen sie etwas, um diese Entwicklung aufzuhalten? Eine Kraft, die in Stratos selbst wohnt, will, daß es so kommt, trotz aller unangenehmen Konsequenzen.«
Maia bemühte sich, nicht in ihre normale Reaktion gegenüber einer Kirchenfrau zu verfallen und so schnell wie möglich das Weite zu suchen. »Hmm… welche unangenehmen Konsequenzen?«
»Für die großen Häuser. Für die Bürokratie in Caria. Und vor allem für die erwähnten Sommerlinge, die keinen Platz mehr auf diesem Planeten haben. Keinen Platz – bis auf einen.«
Aha! dachte Maia. Soll dies ein Missionierungsversuch werden? Die Priesterschaft war noch weniger wählerisch als die Stadtgarde von Port Sanger. Wenn sich ein Sommermädchen dort verpflichtete, bekam sie auf Lebenszeit eine Garantie auf regelmäßige Mahlzeiten. Zwar bedeutete das auch, daß man keine Kinder gebären durfte und nie einen eigenen Clan gründen würde – aber wie viele Sommerlinge schafften das schon? Dem Sex mit einem verschwitzten Mann abschwören zu müssen, konnte wohl kaum verhindern, daß man sich für einen solchen Weg entschied. Und schließlich bekam man ganz Stratos als Liebhaber, wenn man das heilige Gewand überstreifte. Und alle Stratoianer als Kinder.
Trotzdem, warum ging diese Frau auf Seelenfang? In Lanargh stolperte man auf Schritt und Tritt über Priesterinnen oder Diakonissen. Immer mehr Frauen wählten heutzutage den Rückzug in die Sicherheit.
»Ich möchte dir nicht zu nahe treten«, sagte Maia und wich einen Schritt zurück. »Aber ich denke
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