Die Clans von Stratos
aus Caria stehen uns im Weg!«
In den Augen der Frau funkelte ein Fanatismus, ein Glauben, der alle Gesetze der Logik und alle Hindernisse durchbrach. Angenommen, du findest dich selbst unwichtig in der Welt, erdrückt von den Mächtigen. Wie kannst du dir wieder wichtig vorkommen? Du brauchst nur eine Verschwörung, in die du hineinpaßt. Eine, in der du deinen rechtmäßigen Platz als Führerin zum Licht einnehmen kannst.
Aber es gibt es viele Lichter…
Maia wollte sich kein Urteil über die Ansichten der Frau erlauben. Sie klangen großartig und waren es sicher wert, daß man über sie nachdachte. »Ich werde das hier durchlesen«, versprach sie und hielt das Flugblatt in die Höhe. »Aber…«
Ihre Stimme erstarb. Die junge Frau starrte auf etwas, das sich hinter Maias Schulter befand, und sagte dann zerstreut: »Gut. Aber ich muß jetzt gehen. Auf zu den Sternen, Schwester.«
»Eia, Schwester«, erwiderte Maia ganz konventionell die ungewöhnlichen Abschiedsworte. Dann beobachtete sie, wie das gestreifte Gewand in der Menge verschwand. Als sie sich umwandte, um nachzusehen, was die Ketzerin vertrieben hatte, erblickte sie vier stämmige Frauen, die sich einen Weg durch die Menge bahnten, wobei sie lässig ihre Stöcke schwangen, die sie gar nicht nötig zu haben schienen… jedenfalls nicht zum Gehen.
Tempelwächterinnen. Nicht alle Priesterinnen waren gleich. Obgleich Ketzerei offiziell nicht als Verbrechen galt, fand die Kirchenhierarchie immer Mittel und Wege, den Ketzerinnen das Leben schwerzumachen, wo diejenigen, die dem klassischen Dogma folgten, auf keinerlei Schwierigkeiten stießen. Von den Randgruppen war nur der Perkinismus stark genug, daß niemand sich traute, seine Anhängerinnen direkt anzupöbeln.
Oh, ich glaube, es gibt doch noch Nischen, dachte Maia, während sie die strengen Frauen betrachtete, vor denen selbst Frauen der Stadtgarde einen Schritt zur Seite wichen. Mit dem nötigen Mumm findet eine Var immer Arbeit auf dieser Welt.
Mit diesem Gedanken stopfte sie das Flugblatt in ihre Tasche, um es später Leie zu zeigen. Sie machte einen großen Bogen um die Tempelwächterinnen, orientierte sich neu und eilte dann durch die Menschenmenge auf dem Markt zurück zu den Docks, geführt von ihrem unverkennbaren Aroma.
»Arbeitet jetzt, glotzt später!« fauchte Bootsfrau Naroin am Abend ihres vierten Tages im Hafen.
Maias Aufmerksamkeit war von einer Szene am Fuß des Kais abgelenkt worden. Trotzdem zog sie sich mit einem »Jawollsir« rasch zurück und konzentrierte sich wieder auf das Fließband, das sie immer wieder neu ausrichten mußte, damit die Eimer, in denen die Kohle aus dem Lagerraum des Schiffs gefördert wurde, nicht ins Schaukeln gerieten oder gar umkippten. Manchmal brauchte es ihre ganze Muskelkraft, um die störrische Vorrichtung in die richtige Lage zu bekommen. Selbst wenn alles wieder in Ordnung schien, behielt Maia die Eimer vorsichtshalber im Auge. Schließlich jedoch hob sie noch einmal den Kopf über die Backbordreling.
Die Ankunft eines Autos hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, eines Autos, das mit schnurrendem Gasmotor den Uferdamm entlanggefahren kam, direkt auf den Liegeplatz der Wotan zu.
Ein Auto, dachte sie. Und das lediglich für einen persönlichen Transport. In ganz Port Sanger hatte es nur zwei Autos gegeben, die ausschließlich für zeremonielle Zwecke oder bei Besuchen von Würdenträgern benutzt wurden. Andere Motorfahrzeuge waren fast ebenso rar gewesen, da die meisten Waren Maias Heimatstadt auf dem Seeweg erreichten und wieder verließen. Doch im kosmopolitischen Lanargh konnte man fast auf jeder Straße gelegentlich einen Motor-Lastwagen zu Gesicht bekommen, jeder mit einer Fahrerin und mehreren Laderinnen ausgestattet. Dazu kam noch eine Wache, die mit einer roten Fahne vorausging, um dafür zu sorgen, daß kein Kind unter die rumpelnden Räder geriet. Es waren beeindruckende Maschinen, allerdings machte ihr Gerumpel Maia immer ein wenig angst.
Schon seit mehreren Tagen kam regelmäßig ein verbeulter, häßlicher Laster zum Kai, um seinen Fallboden mit Kohle von der Parthenia-See vollzupacken. Die Löschmannschaft hatte den Anblick des Fahrzeugs bald gehaßt. Aber schließlich ist das auch eine Arbeit, dachte Maia, während sich der Verschlag des Lasters mit Anthrazit füllte, das in einer familienbetriebenen petrochemischen Fabrik verflüssigt und dann anderen Lanargh-Clans für die Herstellung von Spritzguß zur Verfügung gestellt
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