Die Clans von Stratos
jetzt überlegte Maia, ob die Ketzerin vielleicht recht hatte. Die Savanten, die Ratsfrauen und die Hohepriesterinnen gaben ihre Informationen so widerwillig preis, als fürchteten sie sich vor der Reaktion der Massen.
Vom Standpunkt einer Klonfrau scheint vielleicht jede Person, die nicht ihre Vollschwester ist, wie ein unberechenbares Risiko. Für uns Vars ist es dasselbe, nur sind wir daran gewöhnt.
Der Mittelmond Athena hing über dem westlichen Horizont, eine schmale Sichel, auf der sich das Mare Virginitatis immer heller abzeichnete, während die Sonne hinter einer Wolkenbank verschwand. Ein klarer Abend senkte sich über Lanargh, die Luft war kühl. Schon kamen die ersten Sterne heraus.
Für Plätze erster und zweiter Klasse gab es getrennte Warteschlangen. Letztere bewegte sich ruckartig auf die Kasse zu, in der mehrere stupsnasige Frauen mit Brille und einem dumpf-skeptischen Gesichtsausdruck die Eintrittskarten ausgaben. Man sollte doch denken, daß sie bei einem solchen Andrang mehr Theater bauen würden, egal, wieviel hier draußen ein Telegerät kostet. Hat man soviel öffentliches Interesse vielleicht einfach nicht erwartet?
Als endlich wieder Stehplatz frei wurde und die Zwillinge sich ganz hinten in den nach Schweiß riechenden Raum drängten, waren die wichtigsten Themen bereits vorbei, und es kam der allabendliche ›Kommentar‹. Die junge Frau auf dem riesigen Wandbildschirm, die das Interview führte, kam Maia natürlich bekannt vor, denn die gleiche Sendung gab es ja auch zu Hause in Port Sanger. Ihr Gast war eine ältere Frau, der Kleidung nach eine Savante von der Universität.
»… trotz aller entsprechenden Versicherungen – wer garantiert uns denn, daß unsere Outsider-Freunde wirklich so harmlos sind, wie sie behaupten? Wir Stratoiner erinnern uns mit Schrecken an die letzte Gefahr aus dem Weltraum…«
Die Interviewerin unterbrach: »Aber Savante Sydonia, als der Feind kam, hatte er ein gigantisches Raumschiff, so groß wie ein Asteroid! Wir alle können sehen – jedenfalls diejenigen unter uns, die in einer Stadt mit einem Astronomieclub wohnen – daß das Besucherschiff viel zu klein ist, um eine Armee zu transportieren.«
Maia spürte eine Welle des Glücks. Sie diskutierten doch über die außerplanetarischen Besucher! Die vornehme grauhaarige Savante auf dem Bildschirm nickte. Die Kamera ruhte auf den Weisheitslinien um ihre Augen, allerdings hatte Maia den Verdacht, daß es sich zumindest teilweise um Schminke handelte.
»Es gibt Risiken, die über eine direkte Invasion hinausgehen. Ernste Gefahrenpotentiale für unsere Gesellschaft. Denk daran, Bewußtsein ist alles! Manchmal ist eine Rasse klüger als ihre einzelnen Mitglieder.«
Die junge Interviewerin runzelte die Stirn. »Ich kann dir nicht ganz folgen.«
»Es gibt Hinweise – Vorzeichen, wenn du sie so nennen möchtest. Beispielsweise könnte man den Anstieg erwähnen, der in den letzten Jahreszeiten bei…«
Ein Ruck ging durch das Bild. Hätte Maia in diesem Moment geblinzelt, wäre es ihr nicht aufgefallen. Studiozensur. Jemand hatte das Interview zusammengeschnitten, bevor es gesendet wurde.
»…wodurch es unmöglich wurde, Schaden, der durch einen neuerlichen Kontakt mit dem Phylum auftreten könnte, gänzlich auszuschließen… so sehr wir die Angstkampagnen mancher radikaler Gruppierungen auch bedauern…«
Pieptöne wie dieser waren keine Seltenheit in Sendungen aus Caria. Sie waren sogar so häufig, daß Maia auch diesmal nicht lange darüber nachgedacht hätte, hätte sie die Antwort nicht so brennend interessiert. Jetzt geriet sie ins Grübeln. Ein Punkt für die Ketzerin. Vars werden so erzogen, daß sie gar nicht mehr erwarten, informiert zu werden. Wir gewöhnen uns daran. Aber sind wir nicht auch Bürgerinnen? Betreffen solche Dinge nicht uns alle?
Schon daß sie solche Gedanken zuließ, vermittelte Maia ein tollkühnes, rebellisches Gefühl.
»…so müssen wir uns alle gemeinsam anstrengen, die Grundpfeiler dieser guten Welt zu verstärken, die Lysos und die Gründermütter uns hinterlassen haben. Eine Welt, die unsere Töchter natürlich auch vor Prüfungen stellt, sie aber stark macht. Sogar der interstellare Besucher bewundert das, was wir erreicht haben, vor allem unsere für eine Hominiden-Kolonie außergewöhnliche soziale Stabilität.«
Maia horchte auf. Die Savante schien das Gerücht zu bestätigen, daß nun ein außerplanetarischer Besucher auf Stratos gelandet war.
»Deshalb
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