Die Clans von Stratos
war so entsetzlich übel, daß sie die Leistung der tapferen Seeleute nur verschwommen wahrnahm und die Behendigkeit und Stärke gar nicht recht zu würdigen wußte. Das Salzwasser brannte in ihren Augen wie Nadeln, während sie sich ans Schandeck klammerte und beobachtete, wie die Matrosen hoch oben an den Masten ihr Leben aufs Spiel setzten, einhändig ihre Äxte schwangen und sich gemeinsam um die Rettung aller an Bord bemühten. Nicht nur Männer waren dort oben. Gelegentlich hörte man höhere Stimmen, was zeigte, daß auch weibliche Besatzungsmitglieder dem Sturm trotzten und in die sich aufbäumenden Masten kletterten.
Vars wie Maia. Wie konnten menschliche Wesen so etwas tun? Allein beim Gedanken daran wurde Maia noch flauer im Magen. Und sie schämte sich zutiefst, weil sie eine unfähige Landratte war, die nicht einmal mithelfen konnte.
»Achtung da unten!« brüllte jemand, und Sekundenbruchteile später stürzte aus dem Chaos etwas herunter, ein Wirrwarr aus Seilen und Blöcken prallte am Schandeck ab und rutschte dann ins dunkle, hungrige Wasser. Mit tränentrüben Augen blickte Maia dem Kuddelmuddel nach, das sie um ein Haar mit in die Tiefe gerissen hätte. Aber so sehr sie sich bemühte, sie fand keinen Platz auf Deck, der sicherer war als der hier zwischen den Masten, wo sie sich verzweifelt an die Reling drückte.
Doch eins stand für sie fest: Sie würde nicht zu den anderen Passagieren gehen, die sich unter Deck zusammenkauerten. Hier draußen war man dem Sturm zwar schutzlos ausgeliefert und unablässig mit den hoch aufsteigenden Wellenbergen und endlosen Abgründen des wütenden Ozeans konfrontiert. Aber dort, mitten in dem Malstrom, hatte sie zum letzten Mal die Zeus gesichtet. In dieser zerbrechlichen Nußschale befand sich ihre Zwillingsschwester, und wenn Maia auch zu krank und ungeschickt war, um der Besatzung der Wotan zu helfen, konnte sie doch wenigstens Wache halten und rufen, wenn sie irgend etwas entdeckte.
Meistens sah sie nur Wasser, schäumende See und mit Gischt erfüllte Luft, die sich nach Kräften mühten, alles Leben an Bord auszurotten. Die grünen Wellenberge, die höher und steiler waren als die Clanfesten von Port Sanger, rollten auf sie zu, und das Schlingern und Stampfen des Schiffes wurde immer heftiger. Als die Wotan den nächsten Wellengipfel passierte, legte sie sich weit nach Steuerbord und kippte halsbrecherisch zur Seite, als wollte sie endgültig in die Tiefe stürzen. Das ganze Schiff bebte.
Gerade in diesem Augenblick erfaßte eine Bö die andere Seite, riß gewaltig an den ächzenden Masten und hebelte das Gewicht des Frachters über den Kiel. Unter lautem Protest gab das Schiff nach und taumelte den Wellenberg hinunter. Die Schwerkraft drehte sich und wirkte plötzlich seitlich, so daß Maia gegen die Reling gepreßt wurde. Ein Bein rutschte durch und baumelte über dem Wasser. Mit Entsetzen sah sie, wie das graugrüne Meer seine schaumbefleckte Hand nach ihr ausstreckte…
Die Zeit schien stillzustehen. Einen Moment lang, der ihr wie eine Ewigkeit vorkam, glaubte Maia zu hören, wie das Meer sie beim Namen rief.
Dann wurden die Bewegung des Ozeanungeheuers langsamer, als wäre es von Maias Hilflosigkeit ebenfalls gelähmt… es hielt inne… und kam wenige Handbreit vor ihr zum Stillstand. Augenlos starrte es Maia an, wie ein lauerndes Raubtier blickte es ihr direkt in die Seele.
Das nächste Mal… Oder das übernächste Mal…
Sie waren auf dem Boden des Wellentals. Maias Herz klopfte laut, während der schlagseitige Frachter sich langsam in die andere Richtung neigte, den hungrigen Fluten entgegen. Erneut rotierte die Schwerkraft in Richtung Deck.
Plötzlich ertönte von unten ein lautes Krachen und Splittern. Ein grausiges Vibrieren, wie zerberstende hölzerne Rippen. Von neuem erschollen Panikschreie.
»… Eia! Die Ladung ist verrutscht! …«
Ungebeten drängte sich ein Bild vor Maias inneres Auge, ein unerwünschtes Bild… Tonnenweise Kohle rollte in schwarzen Wellen von einer Seite des Lagerraums auf die andere und schlug gegen das Innere des Schiffsrumpfs, gegen den von außen der Ozean hämmerte. Die Wotan weint, dachte Maia und lauschte dem schrecklichen Geräusch. Dunkle Gestalten rannten an ihr vorüber und stürzten sich mit Stahlstangen auf die Ladeluke, die wie ein Blatt im Wind davonflog. Ohne auf Hilfe zu warten, eilten sie unter Deck – vermutlich wollten sie versuchen, die Ladung mit bloßen Händen wieder ins Gleichgewicht
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