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Die Clans von Stratos

Die Clans von Stratos

Titel: Die Clans von Stratos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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Kohle jetzt nicht mehr rutschte, fühlte sich jeder Zoll ihres Körpers von den spitzen Stücken zerkratzt und zerquetscht an. Da sie nichts zu tun hatte, als vergleichende Studien ihrer mißlichen Lage vorzunehmen, merkte sie, daß sie winzige Unterschiede in der Beschaffenheit der Kohle feststellen konnte. Jedes Stückchen, das sich gegen ihren Körper preßte, hatte einen eigenen sadistischen Charakter, so individuell, daß sie ihnen Namen hätte geben können… dieses hier ist die Nadel; unter ihrer linken Brust steckte der Zwicker – und so weiter.
    Während sich die Bruchteile zu Sekunden zusammenfügten, wurde Maia plötzlich bewußt, daß es einen ganz besonderen, einzigartigen Kontaktpunkt gab – eine Umklammerung, fest und glatt, rhythmisch schwächer und stärker werdend, aber stets unnachgiebig. Mit Entsetzen wurde ihr bewußt, daß sich jemand an ihrem Bein festhielt! Einen Moment lang hoffte sie schon, daß sie kopfüber in der Lawine steckte und ein Fuß herausschaute. Vielleicht bedeutete dieser wiederkehrende pulsierende Druck, daß Hilfe nahte!
    Doch dann dämmerte es ihr. Es war der große Seemann!
    Im letzten Moment, während sie in der Kohlenflut trieb, mußte seine Hand ihren Fuß erhascht haben. Nun klammerte sich dieser Mann, ob noch bei Bewußtsein oder vielleicht schon tot, in ihrem gemeinsamen Grab an das dünne Fädchen menschlichen Kontakts.
    Welch eine Ironie. Andererseits war es in diesem Moment auch nicht abstruser als alles andere. Sie war jedenfalls nicht allein.
    Leie tat ihr leid. Wie würde sie die Nachricht aufnehmen? Bestimmt stellt sie sich das Ende viel schrecklicher vor, als es ist. Es gibt wirklich Schlimmeres. Mir fällt zwar gerade nichts ein, aber ich bin ganz sicher, daß es etwas gibt.
    Während sie darüber nachdachte, verstärkte sich der Druck um ihren Knöchel plötzlich, und die Umklammerung wurde so fest, daß Maia aufstöhnte. Sie spürte die krampfartigen Zuckungen des Seemanns, der sie nach unten zog. An hundert neuen Stellen zerkratzte die Kohle ihre Haut, und sie japste verzweifelt. Dann jedoch erschlaffte der Griff mit einer Reihe immer schwächer werdender Konvulsionen.
    Schließlich hörte das Pulsieren ganz auf. Maia glaubte, ein fernes Röcheln zu hören.
    Siehst du? sagte sie sich, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, die die Dunkelheit absolut machten. Ich hab’s dir doch gesagt. Es könnte schlimmer sein.
    Still bereitete sie sich darauf vor, daß sie jetzt an der Reihe war. Die wissenschaftlich-deistische Liturgie ihrer Kindheit kam ihr in den Sinn – Katechismuszeilen, die man in der Lamatia-Feste den Sommerkindern pflichtschuldig bei den wöchentlichen Gottesdiensten beibrachte: über den körperlosen mütterlichen Geist der Welt, gleichzeitig liebevoll und akzeptierend und dennoch streng und unnachgiebig.
     
Denn welche Hoffnung bleibt dem einzelnen ›Ich‹,
Ein Bewußtsein, kurzlebig, und doch so voller Prahlerei.
Das sich klammert ans Leben, als wäre es ein Besitz?
Etwas, was du behalten kannst?
     
    Sie kannte Trostgebete, Gebete um Demut. Andererseits, überlegte Maia, was bedeuteten der Stratos-Mutter ein paar in der Finsternis gemurmelte Worte, wenn die Seele weiterlebte, nachdem die organische Existenz zu Ende war? Was bedeuteten sie selbst dem seltsamen Donnergott, der alles sah und dem angeblich die Männer insgeheim huldigten? Gewiß würde keiner von beiden es übelnehmen, wenn Maia sich den Atem sparte, um ein paar Augenblicke länger am Leben zu bleiben.
    Der Streß sorgte dafür, daß Maia ihre Qual allmählich weniger wahrnahm. Inzwischen hatte der klaustrophobische Druck, der Maia umgab und anfangs mit einer Vielzahl gemeiner Klauen ausgestattet zu sein schien, eine betäubende Wirkung angenommen, als reichte es, langsam aber sicher jedes verbleibende Gefühl aus ihr herauszuquetschen. Die einzige Empfindung, die im Lauf der Zeit stärker wurde, war das, was sie hörte. Dumpfe Schläge und fernes Geklapper.
    Ein Herzschlag nach dem anderen. Maia zählte mit, zuerst nur, um die Zeit zu vertreiben. Dann immer ungläubiger, denn die Geräusche wurden nicht schwächer. Versuchsweise öffnete Maia ihren Mund ein Stück weit, so daß sie mit der Zunge und den Lippen spüren konnte, wozu ihr ramponiertes, staubbedecktes Gesicht nicht fähig war – ein leiser kühler Luftzug, der von irgendwo an ihrer Stirn das Schaufelblatt herabströmte!
    Aber es war bestimmt mindestens eine ein Meter dicke Kohlenschicht über ihrem Kopf.

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