Die Clans von Stratos
weitergehen mußte. Maia würdigte ihre Anstrengungen, aber gleichzeitig spürte sie Zorn auf diese Frau, weil sie sich einfach in ihr Elend einmischte. Diese Var war auf die sichere und einfache Art ›Mutter‹ geworden.
Endlich hatte Maia begonnen loszulassen, teils schlicht aus Erschöpfung. Ihre Jugend und die gute Ernährung förderten die körperliche Genesung. Theologische Betrachtungen spielten ebenfalls eine Rolle. Ich habe mich immer gefragt, weshalb die Männer noch an ihrem Donnergott festhalten. An einer allwissenden Gottheit, die alles sieht, was wir tun, die sich um jeden unserer Gedanken kümmert.
Der alte Bennett hatte ihr von seinem Glauben erzählt, mit dem er sich vollkommen im Einklang mit der Verehrung der Stratos-Mutter glaubte. Anscheinend wird er innerhalb der Männerreservate weitergereicht und könnte jetzt gar nicht mehr ausgerottet werden, selbst wenn die Savanten, die Ratsfrauen und die Priesterinnen es versuchten.
Aber wie hatte es angefangen? Unter den Gründermüttern gab es keine Männer, damals, als sich die ersten Dom-Heimatstätten auf dem Landungskontinent entwickelten. Zahlreiche im Labor entwickelte Generationen kamen und gingen, ehe der Große Umbruch geschafft war. Unsere Vorfahren wußten nichts außer dem, was die Gründermütter ihnen zu erzählen beschlossen.
Wie also haben diese ersten stratoinischen Männer von Gott erfahren?
Das war mehr als nur ein intellektuelles Spielchen. Wenn Leie nicht mehr da ist, vielleicht hat sich dann ihre Seele mit dem des Planeten verbunden und ist jetzt Teil des Regenbogens, den ich da draußen sehe. Die Vorstellung war poetisch und wunderschön. Doch auch an der Idee des alten Bennett, daß es ein Leben nach dem Tod an einem Ort namens Himmel gab, hatte etwas für sich. Dort war eine gewisse Kontinuierlichkeit der eigenen Person sichergestellt, samt Erinnerungen und einem Bewußtsein des Selbst. Laut Bennett konnten die Toten einen hören, wenn man betete.
Leie? Ganz langsam und intensiv ließ sie den Gedanken auf sich wirken. Kannst du mich hören? Wenn du mich hörst, kannst du mir ein Zeichen geben? Wie ist es im Jenseits?
Vielleicht gab es eine Antwort im Spiel des Lichts auf dem Wasser oder in den fernen Schreien der Möwen. Doch falls so etwas existierte, war es zu subtil, als daß Maia es hätte erkennen können. Deshalb tröstete sie sich ein wenig, indem sie sich vorstellte, wie ihre Zwillingsschwester auf ein so impertinentes Ansinnen reagiert hätte.
»He, ich bin gerade erst hier angekommen, Dummchen. Außerdem würde es mir den Spaß verderben, wenn ich’s dir verrate.«
Mit einem Seufzer wandte Maia sich um und holte eine Baumschere aus der Tasche ihres geborgten Kittels. Während sie sich erholte, bezahlte sie für Kost und Logis, indem sie half, den Obstgarten mit den einheimisch stratoinischen Bäumen zu pflegen, den jeder Tempel als Teil seiner Verpflichtung gegenüber dem Planeten anlegen mußte. Es war eine sanfte, geruhsame Arbeit, die ihre eigenen Lehren in sich zu bergen schien.
»Du und ich, wir sind beide bedrohte Arten, stimmt’s?« sagte sie zu einem kleinen, dürren Busch, ehe sie wieder in abstraktes Nachdenken verfiel. Jahrtausendelange Entwicklung hatte die Schirmblätter des Jacarbaums mit chemischen Verteidigungsstoffen ausgestattet, die die einheimischen Pflanzenfresser fernhielten. Gegen Tiere, die von der Alten Erde stammten, waren diese Giftstoffe allerdings wirkungslos: Sie halfen weder gegen Kaninchen noch gegen Rehe oder Vögel. Die fünf Baumarten dieses Gartens waren in einem Katalog aufgelistet, der im fernen Caria geführt wurde.
»Vielleicht gehören wir beide an einen Ort wie diesen«, fügte Maia hinzu, schnippelte ein letztes Mal und trat einen Schritt zurück, um das Ergebnis ihrer Arbeit zu begutachten. Dann wandte sie sich um und betrachtete den Obstgarten, die Blumenbeete, den Tempel mit den Stuckwänden, ihre Zufluchtsstätte. Kommen dir Zweifel? fragte sie sich. Ein bißchen spät, jetzt, wo du bereits angekündigt hast, daß du gehen willst.
Auf dem Weg zum Gartenschuppen kam sie an der zerfallenen Mauer eines älteren Gebäudes vorüber. Es war ein früherer Tempel, hatte eine der Schwestern ihr erklärt und gemeint, Maia könne bei Mutter Kalor sicher Näheres darüber erfahren. Doch zuerst hatte Maia die Ruinen selbst erforscht und zu ihrem Erstaunen ein ausgewaschenes Flachrelief vorgefunden, unter den wuchernden Efeuranken gerade noch erkennbar. Die Figur, die man
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