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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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fügte er hinzu. Er fand die Streichhölzer und zündete die Zigarette an. Rauch drang aus seinen Nasenlöchern. »Wieso sollten ungarische Reformkräfte sich vor der Bedrohung durch russische Panzer verkriechen, wenn die Polen Erfolg hatten?«, fragte er.
    »Weil die Situation hier anders ist als in Polen«, argumentierte Ebby. »Die polnischen Reformer sind eindeutig Kommunisten, die gar nicht die Absicht haben, den Kommunismus hinwegzufegen oder Polen aus dem Sowjetblock herauszulösen.«
    »Wir wären töricht, wenn wir uns damit begnügen würden«, brach es aus Mátyás heraus.
    »Aber ihr müsst den Kern des Problems sehen«, gab Ebby grimmig zu bedenken.
    Als Elizabet Ebbys Bemerkung übersetzte, schob Mátyás wütend seinen Stuhl zurück, stand auf und ließ sich neben ihr auf die Couch fallen. Die beiden flüsterten auf Ungarisch und schienen heftig zu debattieren. Es war offensichtlich, dass E lizabet ihn von etwas zu überzeugen suchte, aber keinen Erfolg damit hatte.
    Am Tisch starrte Árpád lang an Ebby vorbei auf einen Kalender, der an der Wand hing. Als er sich schließlich wieder seinem Besucher zuwandte, schien in seinen Augen ein Fieber zu brennen. »Ihr kommt hierher mit eurer westlichen Logik und euren westlichen Tatsachen«, begann er. »Aber keiner von euch bedenkt, wie verzweifelt unsere Lage ist und dass unsere besondere ungarische Mentalität uns dazu treibt, zu kämpfen, selbst wenn es aussichtslos ist. Für Ungarn wird eine Lage umso faszinierender, je hoffnungsloser sie ist.«
    Ebby beschloss, Klartext zu reden. »Ich bin hierher geschickt worden, um dafür zu sorgen, dass ihr eure Risiken richtig abwägt. Falls ihr euch für einen bewaffneten Aufstand entscheidet, müsst ihr euch darüber im Klaren sein, dass der Westen euch nicht gegen die russischen Panzer zu Hilfe kommen wird, die sich an der Grenze sammeln.«
    Die drei Männer lächelten einander schwach zu, und Ebby erkannte, dass seine Mission gescheitert war. »Ich und meine Freunde danken Ihnen, dass Sie unter großen persönlichen Risiken nach Budapest gekommen sind«, sagte Árpád. »Ich werde Ihnen eine Botschaft mit zurück nach Amerika geben: Der athenische Geschichtsschreiber Thukydides hat vor rund zweitausendvierhundert Jahren über den schrecklichen Konflikt zwischen Athen und Sparta nachgedacht und geschrieben, dass es drei Dinge gibt, die Menschen in den Krieg treiben – Ehre, Furcht und Eigennutz. Falls wir Ungarn in den Krieg ziehen, geschieht das aus Ehre und Furcht. Wir hoffen nach wie vor, dass die amerikanische Regierung dann aus Eigennutz abwägen wird, welche Vorteile es hätte, uns zu helfen.«
     
    Als die Klosterglocken auf dem Gellért-Hügel elf schlugen, bemerkte einer der AVH-Männer in dem blauen Skoda eine männliche Gestalt, die über die Szabadság-Brücke ging. Der AVH-Mann spähte durch sein Fernglas und konnte die Gestalt positiv identifizieren. Die Röhren des Funkgeräts waren schon warm, also schaltete er das Mikro ein. » Szervusz, szervusz, mobile Einheit siebenundzwanzig. Ziel auf Szabadság-Brücke gesichtet. Operationsplan ZARVA ausführen. Ich wiederhole: Operationsplan ZARVA ausführen.«
     
    Während Ebby sich mühsam aus einer schmerzerfüllten Benommenheit kämpfte, spielte er mit dem tröstlichen Gedanken, das Ganze wäre nur ein böser Traum gewesen – die quietschenden Bremsen, die beiden Männer, die plötzlich aus der Dunkelheit aufgetaucht waren und ihn in den Wagen stießen, das dunkle Lagerhaus, das vor ihm aufragte, der endlose Gang, über den er gezerrt wurde, die grellen Lampen, die ihm in den Augen brannten, selbst wenn er sie schloss, die Fragen, die man ihm aus der Dunkelheit entgegenschleuderte, die gezielten Hiebe in den Magen, die ihm die Luft raubten. Aber das Klingeln in seinen Ohren, das ledrige Gefühl im ausgetrockneten Mund, das Pochen im Brustkorb, der Knoten aus Angst in der Magengrube, all das holte ihn in die grausame Wirklichkeit zurück. Er lag ausgestreckt auf einem Holzbrett und versuchte mit aller Willensanstrengung, die Augen zu öffnen. Nach einer halben Ewigkeit, wie es ihm schien, bekam er das Augenlid auf, das nicht zugeschwollen war. Die Sonne hoch über ihm wärmte ihn seltsamerweise nicht. Allmählich dämmerte es Ebby, dass das Licht nicht die Sonne war, sondern eine nackte Glühbirne, die an einem Draht von der Decke hing. Ächzend stemmte er sich in eine sitzende Position, und es gelang ihm, den Rücken gegen die Zementwand zu lehnen.

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