Die Company
den Satz beißend zu Ende. »Sprechen Sie es doch unverblümt aus.«
»Ungarn ist uns nicht unwichtig. Deshalb möchten wir, dass ihr den Aufstand verschiebt, bis die Bedingungen besser sind, bis Chruschtschow die Falken im Politbüro besser unter Kontrolle hat.«
»Wie lange?«
»Ein Jahr bis höchstens achtzehn Monate. Wir müssen umsichtig und geduldig sein. Die amerikanische Regierung ist auf keinen Fall an einem Krieg mit den Sowjets interessiert –«
»Ich will Ihnen sagen, was Trotzki den Russen 1917 vor der Revolution gesagt hat«, erklärte Árpád, die Augen unverwandt auf Ebby gerichtet. »›Ihr mögt ja nicht am Krieg interessiert sein, aber der Krieg ist an euch interessiert.‹« Mátyás sagte leise etwas, und Árpád nickte. »Mátyás meint, wir können den Aufstand gegen die Kommunisten weder anfangen noch aufhalten, und ich sehe das auch so. Was geschieht, wird geschehen, mit oder ohne uns und mit oder ohne euch. Wir leben in einem Land, das es satt hat, in ständiger Angst vor der Geheimpolizei zu zittern. Ich selbst bin fünfmal verhaftet worden, zweimal von den Faschisten, dreimal von den Kommunisten. Ich habe elf Jahre und vier Monate meines Lebens hinter Gittern verbracht. Ich wurde in demselben Gefängnis, in derselben Zelle vor dem Krieg von den ungarischen Faschisten und nach dem Krieg von den Kommunisten gefoltert.«
Ulrik winkte ab und sprach lange auf Ungarisch mit Árpád, der mehrmals zustimmend nickte. »Ich soll Ihnen sagen, dass euer Radio Freies Europa immer wieder davon spricht, den Kommunismus zurückzudrängen«, übersetzte er.
»Radio Freies Europa ist kein Organ der US-Regierung«, wandte Ebby ein.
»Und wer, bitte, finanziert den Sender?«, wollte Árpád wissen.
Die Frage ließ Ebby verstummen. Ulrik trommelte mit den Fingern auf den Tisch und sprach wieder ungarisch. Árpád nickte und übersetzte dann. »Er sagt, der Augenblick der Wahrheit steht bevor. Er sagt, ihr müsst einen Aufstand, falls es dazu kommt, materiell und moralisch unterstützen. Er sagt, wenn ihr nur die Russen von einer Intervention abhalten könntet, mehr nicht, wird der Kommunismus in Ungarn in den Mülleimer der Geschichte gefegt werden.«
Aus den Augenwinkeln sah Ebby, dass Elizabet sich auf der Couch zusammengerollt hatte. Er spürte, dass sie ihn betrachtete. »Niemand zweifelt an eurer Entschlossenheit, die stalinistische Diktatur abzuschütteln«, sagte er zu Árpád. »Aber unserer Meinung nach müsst ihr nun mal den Tatsachen ins Auge sehen. Und diese Tatsachen sind eindeutig und sprechen für sich selbst. Zwei sowjetische Panzerdivisionen sind fünfzig Kilometer von Budapest entfernt stationiert; die könnten die Stadt innerhalb einer Stunde erreichen. Wir haben Beweise, dass die Sowjets genau wissen, wie brenzlig die Lage hier ist. Ich kann euch sagen, dass uns Informationen vorliegen, nach denen sie große Truppenkontingente auf der ukrainischen Seite der ungarischen Grenze zusammenziehen. Ich kann euch sagen, dass sie dabei sind, Pontonbrücken über die Theiß zu bauen, so dass diese Truppen im Handumdrehen in Ungarn einrücken können.«
Árpád und Elizabet wechselten Blicke; offensichtlich waren diese Informationen für sie neu. Elizabet übersetzte rasch für die anderen, was Ebby gesagt hatte.
Ulrik, der als politischer Analyst in einem Ministerium arbeitete, gab zu, dass sie nichts von den Pontonbrücken gewusst hatten, aber er bezweifelte Ebbys Einschätzung, dass Chruschtschow Truppen über die Theiß schicken würde, sollte es zu einem Aufstand kommen. »Der Kreml«, so argumentierte er, »hat genug mit den Problemen im eigenen Land zu tun.«
Árpád holte einen kleinen Stoffbeutel aus der Hosentasche. »Und deshalb«, so pflichtete er ihm bei, während er sich geistesabwesend eine Zigarette drehte, »haben die Russen 1955 die österreichische Neutralität akzeptiert; deshalb hat Chruschtschow Jugoslawien öffentlich als ein Land auf dem Weg zum Sozialismus anerkannt, obwohl es nicht zum Sowjetblock gehört. In Polen hat der Druck der Bevölkerung dafür gesorgt, dass der Reformer Gomulka aus dem Gefängnis entlassen wurde. Wahrscheinlich wird er demnächst sogar zum Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei Polens ernannt.« Er drehte die Zigarette fertig, klopfte den Tabak darin fest, steckte sie sich zwischen die Lippen und tastete nach Streichhölzern. »Selbst die Falken in Chruschtschows Politbüro scheinen sich mit der Situation in Polen abzufinden«,
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