Die Company
Er befand sich in einer großen Zelle mit einem schmalen, vergitterten Fenster hoch oben in der Wand, was bedeutete, dass die Zelle sich im Keller befand. In einer Ecke war ein Holzeimer, der nach Urin und Erbrochenem stank. Die hölzerne Zellentür war mit rostigen Metallbeschlägen verstärkt. Durch ein Guckloch in der Tür beobachtete ihn ein starres Auge.
Es irritierte ihn, dass er nicht erkennen konnte, ob es ein linkes oder ein rechtes Auge war.
Er konzentrierte sich darauf, dringende Fragen zu formulieren. Um die Antworten kümmerte er sich nicht; falls es welche gab, würden sie später kommen.
Wie lange war er schon in Haft?
Hatte er bei dem Verhör irgendwas gesagt, was seine Tarnung gefährdete?
Würden die Amerikaner im Hotel bemerken, dass er verschwunden war?
Würden sie die Botschaft benachrichtigen?
Wann würde die Botschaft sich mit Washington in Verbindung setzen?
Würde Árpád erfahren, dass er verhaftet worden war?
Falls ja, würde er ihm helfen können?
Und natürlich die alles entscheidende Frage: Wieso hatten die Ungarn ihn verhaftet? Hatte der Geheimdienst die ungarische Widerstandsbewegung infiltriert? Wussten sie, dass die CIA jemanden nach Budapest geschickt hatte, um Kontakt mit Árpád aufzunehmen? Wussten sie, dass er derjenige war?
Die Fragen hatten Ebby erschöpft, und er nickte ein, das Kinn auf die Brust gelegt.
Das Quietschen der Tür weckte ihn ruckartig. Zwei Männer und eine schwergewichtige Frau, die als Sumo-Ringerin hätte auftreten können, traten in die Zelle. Die Männer trugen ordentliche blaue Uniformen, die Frau einen Trainingsanzug und eine lange weiße Metzgerschürze mit Flecken darauf, die aussahen wie getrocknetes Blut. Mit einem Grinsen kam die Frau auf Ebby zugetrottet, packte sein Kinn und riss ihm den Kopf nach hinten ins Licht. Mit dem Daumen schob sie geschickt das Lid des nicht zugeschwollenen Auges hoch. Anschließend maß sie seinen Puls. Sie hielt die kohlschwarzen Augen auf den Sekundenzeiger ihrer Armbanduhr gerichtet und sagte dann mürrisch etwas auf Ungarisch. Die beiden Polizisten zogen Ebby auf die Beine und schleiften ihn einen langen Gang hinunter in einen Raum, in dessen Mitte ein Hocker, der am Boden verschraubt war, von grellen Lampen angestrahlt wurde. Ebby wurde auf den Hocker gesetzt. Eine Stimme, an die er sich vom letzten Verhör her erinnerte, drang aus der Dunkelheit.
»Seien Sie so nett und nennen Sie uns Ihren vollen Namen.«
Ebby rieb sich den Unterkiefer. »Sie wissen doch, wie ich heiße.«
»Nennen Sie Ihren vollen Namen, bitte.«
Ebby seufzte. »Elliott Winstrom Ebbitt.«
»Welchen Rang bekleiden Sie?«
»Ich habe keinen Rang. Ich bin Anwalt bei –«
»Ich bitte Sie, Mr. Ebbitt. Gestern Abend haben Sie uns schon sträflich unterschätzt. Ich hatte gehofft, dass Sie mit ein bisschen Nachdenken zur Vernunft kommen und mit uns zusammenarbeiten würden, und wenn auch nur, um sich vor den Sanktionen zu retten, die Sie erwarten, wenn Sie sich weiterhin widersetzen. Sie sind schon seit 1950 nicht mehr als Anwalt tätig. Sie sind Offizier der CIA und arbeiten in der Sowjetrusslandabteilung, in Mr. Frank Wisners Direktorat für Geheimoperationen. Seit Anfang der Fünfzigerjahre waren Sie für die CIA in Frankfurt und haben mit großem Engagement, aber beträchtlich wenig Erfolg Emigranten zu Agenten ausgebildet, die dann in Polen, Sowjetrussland und Albanien abgesetzt wurden. Ihr unmittelbarer Vorgesetzter in Frankfurt war Anthony Spink. Als Spink 1954 zurück nach Washington versetzt wurde, machte man Sie zu seinem Nachfolger.«
Ebbys Gedanken überschlugen sich. Er war verraten worden, das war klar, und zwar von jemandem, der ihn persönlich kannte oder der Zugang zu seiner Personalakte hatte. Damit war es so gut wie ausgeschlossen, dass ein Spitzel der ungarischen Widerstandsbewegung ihn verraten hatte. Er schirmte die Augen ab und blinzelte ins Licht. Er meinte, etwa ein halbes Dutzend Männer im Raum auszumachen. Sie alle trugen Hosen mit hohen Aufschlägen und spiegelblank geputzte schwarze Schuhe. »Ich fürchte«, sagte Ebby mit heiserer Stimme, »Sie verwechseln mich. Ich war während des Krieges beim OSS, das stimmt. Aber nach dem Krieg habe ich mein Jurastudium beendet und dann in der New Yorker Kanzlei Donovan, Leisure, Newton, Lumbard und Irvine –«
Ebby sah ein Paar schwarzer Schuhe auf sich zukommen. Eine Sekunde später verdeckte die massige Gestalt eines Mannes in Zivil das Licht der Lampen, und
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