Die Company
fernhielt, aber nicht die Anspannung.
Kurz vor vier Uhr morgens kam Árpád in das Kino getrottet und sah sich um. Er entdeckte Ebby, ging durch den Zuschauerraum und ließ sich müde auf den Sitz neben ihm sinken.
Ebby war schlagartig hellwach. »Stimmen die Gerüchte?«, fragte er.
Árpád, die Augen vor Müdigkeit verquollen, nickte niedergeschlagen. »Sie müssen die Nachricht an Ihre amerikanischen Freunde in Wien funken. Pál Maléter und die anderen Delegierten wurden zur Fortsetzung der Verhandlungen in den russischen Kommandoposten auf der Donauinsel Tokol eingeladen. Kurz nach elf Uhr gestern Abend hat Maléter angerufen und gesagt, es sei alles in Ordnung. Eine Stunde später ist sein Fahrer im Parlament aufgetaucht und hat berichtet, dass Maléter und die anderen verhaftet worden sind. Der KGB ist während einer Kaffeepause in den Sitzungssaal gestürmt. Maléters Fahrer hat gerade in der Garderobe ein Nickerchen gemacht und wurde in dem Durcheinander einfach übersehen. Später hat er sich dann wegschleichen können. Er hat gesagt, der russische General, der mit Maléter verhandelt hat, wäre wütend auf den KGB gewesen. Er hatte Maléter sein Wort als Soldat gegeben, dass die ungarische Delegation sicheres Geleit habe. Der Anführer der KGB-Leute hat den General beiseite genommen und ihm irgendwas ins Ohr geflüstert. Der General hat angewidert abgewinkt und ist aus dem Raum gegangen. Die KGBler haben unseren Unterhändlern Säcke über den Kopf gestülpt und sie weggeführt.«
»Das kann nur eines bedeuten«, flüsterte Ebby.
Árpád nickte finster. »Wir sind von allen verraten worden«, sagte er stumpf. »Jetzt können wir nur noch im Kampf sterben.«
Jenseits der dicken Mauern des Corvin-Kinos ertönte dumpfes Kanonenfeuer. Es klang, als würde irgendwo jemand dezent an eine Tür klopfen. Ein paar Artilleriegranaten detonierten und erschütterten das Gebäude. Überall im Zuschauersaal rappelten sich junge Leute verstört auf und begannen, wild durcheinander zu reden. Ein Armeeoffizier stieg auf eine Klappleiter, befahl Ruhe und fing dann an, Befehle zu erteilen. Die Studenten griffen nach ihren Waffen, füllten sich die Manteltaschen mit Molotow-Cocktails und eilten zu den Ausgängen.
Elizabet stand in der Reihe hinter Ebby und Árpád und schlotterte unter dem Mantel, den sie sich um die Schultern gelegt hatte. Eine Hand auf ihre verletzte Brust gelegt, lauschte sie kurz dem fernen Donner und den Explosionen. Das Blut wich aus ihren Lippen. »Was ist passiert?«, wisperte sie.
Árpád stand auf. »Die Russen sind zurückgekommen, meine Liebste. Sie haben unserer Revolution den Krieg erklärt.« Er wollte noch etwas sagen, doch seine Stimme verlor sich in der Detonation einer Granate, die zwischen dem Corvin-Kino und der Kilian-Kaserne auf der anderen Straßenseite einschlug. Der Strom fiel aus, und die Lichter im Kino erloschen, während feiner, pulvriger Staub von der Decke rieselte.
Überall im Saal gingen Taschenlampen an. Ebby suchte Zoltán, und zu zweit stiegen sie unters Dach zu ihrem improvisierten Funkraum. Mit einem Bleistiftstummel kritzelte Ebby rasch eine Eilmeldung an die Dienststelle in Wien. »Die muss nicht mehr verschlüsselt werden«, sagte er zu Zoltán. »Wichtig ist jetzt vor allem, dass –«
Das Heulen russischer MiGs übertönte Ebby. Als die Flugzeuge abdrehten, hörte er das trockene Stakkato ihrer Geschütze. Er sah Flammen aus dem Dach neben der Kilian-Kaserne schlagen. Zoltán schloss das Funkgerät an eine Autobatterie an und drehte am Einstellknopf herum, bis er die richtige Frequenz gefunden hatte. Ebby schrieb seine Meldung zu Ende, reichte sie Zoltán und hielt dann die Taschenlampe, während der Funker die Nachricht morste:
Pest seit 4 Uhr früh unter Granatbeschuss durch sowjetische Artillerie – überall Detonationen – Sowjet-Jets greifen Rebellenstellungen an – Nagys Verteidigungsminister Pál Maléter laut unbestätigten Berichten gestern Abend von KGB verhaftet – Freiheitskämpfer bereiten Widerstand vor doch ohne Aussicht auf Erfolg
Tief über die Morsetaste gebeugt, beendete Zoltán die Meldung mit Ebbys Codenamen, als die ersten Panzer in die Straße vor dem Kino rollten.
»Und jetzt nichts wie weg hier«, sagte Ebby.
Das ließ sich Zoltán nicht zweimal sagen. Während Ebby die Antenne einholte, stopfte der Zigeuner die Batterie und den Sender in seinen Rucksack. Dann hasteten die beiden zurück ins Kino und durch ein Loch
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