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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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neue in der Mitte an. »Massenhinrichtungen … Flammenwerfer … verkohlte Leichen … Tote mit Kalk bestreut und in flachen Gräbern in Parks beigesetzt … Nagy mit Amnestieversprechen aus jugoslawischer Botschaft gelockt und festgenommen …«
    Botschafter Thompson kam in die Bibliothek. »Du brauchst mal eine Pause, Frank«, sagte er, als er durch die Papierberge auf dem Boden watete, um den Tisch herumging und Wisner einen Arm um die Schulter legte. »Du brauchst eine warme Mahlzeit in den Bauch und ein paar Stunden Schlaf. Dann kannst du auch wieder klarer denken.«
    Wisner schüttelte den Arm ab. »Ich will nicht klarer denken«, schrie er. Plötzlich schien alle Energie aus seinem Körper zu entweichen. »Ich will nicht denken«, verbesserte er sich in einem gepressten Flüstern. Mit beiden Händen zog er einen neuen Papierstapel zu sich heran, wie einen Berg Chips, den er soeben beim Roulette gewonnen hatte, hielt das oberste Blatt hoch, auf das der entschlüsselte Text aufgeklebt war. Er kam von DCI Allen Dulles. »Hier haben wir ein paar Zeilen aus Washington«, fauchte Wisner. »›ZENTRALE WEIST DIENSTSTELLE WIEN AUF DIE COMPANY-STRATEGIE HIN, NICHT AKTIV ZU WERDEN.‹ Nicht aktiv zu werden! Wir erleben gerade, dass die westliche Zivilisation überrannt wird, aber wir sollen nicht aktiv werden! Die Ungarn sind aktiv geworden, weil wir dazu aufgerufen haben, den Kommunismus zurückzudrängen. Die Russen sind aktiv geworden, weil die Ungarn uns beim Wort genommen haben. Wir sind die Einzigen, die hier nicht aktiv werden, gottverdammt.«
    Thompson warf Owen-Brack einen Blick zu. »Bringen Sie ihm keine Meldungen mehr«, wies der Botschafter sie an.
    Wisner stand mühsam auf und trat den Papierkorb voller zusammengeknüllter Meldungen quer durch den Raum. Thompson klappte der Unterkiefer runter. »Leite du deine Scheiß-Botschaft«, sagte Wisner in eisigem Ton zu seinem Freund. »Ich leite hier die CIA-Operation.« Mit dem Kinn deutete er auf den Teewagen. »Schaffen Sie mir neue Meldungen ran«, befahl er Owen-Brack. »Schaffen Sie mir alles ran, was Sie in die Finger kriegen. Ich muss mich da einlesen … muss einen Weg finden.« Als Owen-Brack unsicher zum Botschafter hinüberschaute, funkelte Wisner sie wütend an. »Setzen Sie Ihren Hintern in Bewegung!«, schrie er. Er fiel wieder zurück in seinen Sessel. »Schaffen Sie mir um Gottes willen die Meldungen ran«, flehte er, blinzelte hektisch, rang nach Atem, klammerte sich an der Tischkante fest. Dann kippte er nach vorn, vergrub den Kopf in den Papierstapeln und weinte lautlos.
     
    Aus heiterem Himmel erklärte Wisner, dass er sich den Strom ungarischer Flüchtlinge ansehen wolle, die über die Grenze nach Österreich kamen. Millie Owen-Brack überredete Jack McAuliffe, als Aufpasser mitzukommen.
    Der Exodus aus Ungarn hatte als kleines Rinnsal begonnen und war mittlerweile zu einem reißenden Strom geworden. Jede Nacht riskierten Hunderte von Ungarn den Weg über die Minenfelder und vorbei an den sowjetischen Fallschirmjägern, die in einigen Sektoren die regulären ungarischen Grenztruppen ersetzt hatten, weil die oft in die andere Richtung sahen, wenn sie Flüchtlinge erspähten.
    Nach fünfundzwanzig Minuten Autofahrt von Wien aus hielt ihr Wagen am ersten Aufnahmelager. Es war in der Aula eines Kleinstadtgymnasiums eingerichtet worden. Die etwa zweihundert Ungarn, die in der letzten Nacht über die Grenze gekommen waren – überwiegend junge Männer und Frauen, manche mit Kindern, ein paar ältere Leute –, lagen ausge streckt auf Matratzen. Manche rauchten geistesabwesend a merikanische Zigaretten, andere starrten blicklos vor sich hin. In einer Ecke teilten österreichische Rote-Kreuz-Helfer Suppe und Brot, dampfende Tassen Kaffee und Gebäck aus. Am nächsten Tisch half ein junger amerikanischer Freiwilliger beim Ausfüllen der Anträge auf politisches Asyl. Einige von Jack rekrutierte Company-Mitarbeiter, die Ungarisch sprachen, wanderten mit Fragebögen durch den überfüllten Raum. Dann und wann knieten sie neben Flüchtlingen nieder, unterhielten sich leise flüsternd mit ihnen und schrieben Informationen über russische Armee-Einheiten oder russisches Material auf. Gelegentlich luden sie jemanden, der zum Ausdruck brachte, mit »den Bolschewiken abrechnen« zu wollen, zu einem ausführlicheren Gespräch in ein Privathaus auf der anderen Straßenseite ein.
    Frank Wisner, den Kragen seines alten Wintermantels gegen nicht vorhandene

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