Die Company
in der Mauer hinaus auf eine schmale Treppe, die in die Gasse hinter dem Gebäude führte. Die Wolken am Himmel waren von der Feuersbrunst, die inzwischen in der Stadt tobte, rosenrot verfärbt. Junge Männer und Frauen in kurzen Lederjacken mit schwarzen Baskenmützen und rotweiß-grünen Armbinden kauerten in der Gasse und warteten darauf, bis sie an der Reihe waren, auf die Straße zu stürmen und Molotow-Cocktails gegen die Panzer zu schleudern, die das Kino und die festungsartige Fassade des massiven Kasernenbaus auf der anderen Seite unter Beschuss genommen hatten.
Dann und wann hörte man von der breiten Straße Maschinengewehrsalven. Augenblicke später kam ein Trupp Freiheitskämpfer zurück in die Gasse gerannt und schleppte einige Verwundete mit sich. Auf ausgehängten Holztüren trugen Medizinstudenten mit weißen Armbinden die Verletzten zurück ins Kino.
Die Studenten, die am weitesten vorne waren, entzündeten die Lunten an ihren Molotow-Cocktails. Ein sommersprossiges Mädchen mit Rattenschwänzen, höchstens sechzehn Jahre alt, brach in Tränen aus. Ihr Freund wollte ihr den Molotow-Cocktail aus der Hand winden, doch sie hielt ihn fest umklammert. Als sie an der Reihe war, stand sie unsicher auf und taumelte aus der Gasse. Einer nach dem anderen stürmte auf die Straße hinaus, um Molotow-Cocktails gegen die Panzer zu schleudern. Das metallische Bellen der russischen Maschinengewehre hämmerte durch die staubige Morgenluft. Kugeln prallten auf die Backstein wand gegenüber der Gasse und fielen zu Boden.
Zoltán hob eine auf; sie fühlte sich noch warm an. Er beugte sich zu Ebby hinüber. »Ich schlage vor, wir sehen zu, dass wir unseren Hintern schleunigst in die amerikanische Botschaft befördern.«
Ebby schüttelte den Kopf. »Da kommen wir niemals lebend an.«
Auf der Treppe vor der Tür zum Kino debattierten Árpád und Elizabet heftig auf Ungarisch. Einige Male wollte Árpád sich abwenden und gehen, doch Elizabet hielt ihn fest und redete weiter auf ihn ein. Sie traten beiseite, um zwei Medizinstudenten vorbeizulassen, die ein totes Mädchen – die sommersprossige Sechzehnjährige, die geweint hatte, bevor sie auf die Straße lief – in die Leichenhalle im Keller trugen. Árpád hob verzweifelt einen Arm, als die Leiche vorbeigetragen wurde, dann zuckte er in verbitterter Resignation die Achseln. Elizabet kam zu Ebby gelaufen und kniete sich hinter ihn. »Es gibt einen Tunnel unter der Straße durch in die Kilian-Kaserne. Ich habe Árpád überredet, mit uns rüberzugehen – da drüben sind Hunderte von bewaffneten Freiheitskämpfern und reichlich Munition. Die Wände sind bis zu drei Meter dick. Da können wir tagelang durchhalten. Selbst wenn der Rest der Stadt fällt, können wir die Glut des Widerstands in Gang halten. Vielleicht kommt der Westen ja doch noch zur Vernunft. Vielleicht können die westlichen Intellektuellen ihre Regierungen zwingen, sich den Russen entgegenzustellen.« Sie deutete mit dem Kinn auf Zoltáns Rucksack. »Ihr müsst unbedingt mitkommen und Berichte über den Widerstand nach Wien senden. Wenn die Meldungen von dir kommen, werden sie sie glauben.«
Zoltán erkannte sofort die Vorteile. »Wenn es in der Kaserne brenzlig wird«, erklärte er Ebby, »können wir durch unterirdische Gänge in die Stadt flüchten.«
»Die Berichte, die ich sende, werden nichts ändern. Irgendwann muss jemand, der noch einen Funken gesunden Menschenverstand besitzt, einen Waffenstillstand aushandeln und das Massaker beenden.«
»Du musst deine Berichte senden, solange der Kampf andauert«, beharrte Elizabet.
Ebby nickte ohne Begeisterung. »Ich werde ihnen erzählen, wie die Ungarn sterben, aber es wird nichts ändern.«
Zu viert stiegen sie die Eisentreppe hinunter in den Keller, der inzwischen zur Leichenhalle umfunktioniert worden war. Hinter ihnen wurden immer mehr Tote hinuntergetragen und in gerade Reihen gelegt, als könnten diese ordentlichen Reihen dem Chaos aus Gewalt und Sterben eine Art Ordnung aufzwingen. Manche Toten waren grausam entstellt, andere wiesen keine offensichtlichen Wunden auf. Der Geruch in dem unbelüfteten Keller wurde unerträglich, und Elizabet zog sich mit Tränen in den Augen den Rollkragen ihres Pullovers über die Nase.
Sie suchten sich ihren Weg zwischen den Leichen hindurch und erreichten eine Stahltür, die in einen engen Tunnel voller Elektrokabel führte. Nach etwa vierzig Metern – sie befanden sich jetzt ungefähr unter der Straße
Weitere Kostenlose Bücher