Die Company
Diesen Weg wären sie mit den Überläufern gegangen. Von unten hörten sie Gewehrkolben gegen die schwere Doppeltür des Kinos hämmern, dann gedämpfte Rufe, während die Volkspolizisten – begleitet von einer Hand voll KGB-Agenten – im Gebäude ausschwärmten.
Oben angekommen, entriegelte Jack die Stahltür und schob sie mit der Schulter auf. Frostige Nachtluft blies ihm ins Gesicht und trieb ihm Tränen in die Augen. Der Halbmond tauchte das Dach in silbrige Schatten. Unten im Kino traten schwere Stiefel die Geheimtür auf der Toilette ein und kamen dann die schmale Stiege heraufgepoltert. Silvan II schloss die Tür hinter Jack und Torriti und verriegelte sie leise. Der Zauberer schnaufte vor Anstrengung. »Das wird sie etwas aufhalten«, stieß er hervor. Die drei schlichen quer über die glitschigen Dachpfannen. Silvan II half dem Zauberer über eine niedrige Mauer, ging dann über das Nachbardach voraus zu einer Reihe von Schornsteinen und kletterte die Holzleiter hinunter, die er dort bei der Vorbereitung für die Exfiltration aufgestellt hatte. Anschließend stieg Jack ein Stück die Leiter hinab und sprang auf das untere Dach. Der Zauberer suchte vorsichtig mit dem Fuß die erste Sprosse und kletterte ebenfalls hinunter.
Einen Moment lang duckten sich die drei, lauschten dem eisigen Wind, der über die Dachfirste pfiff. Jack, dem das Adrenalin durch den Körper strömte und dem das Herz bis zum Halse klopfte, fragte sich, ob er Angst hatte; erfreut stellte er fest, dass dem nicht so war. Von irgendwo unten war gutturales Fluchen zu hören. Dann flog eine Tür zum Dach auf, und zwei silbrige Silhouetten erschienen. Der Strahl zweier Taschenlampen huschte über die Schornsteine und erhellte die Holzleiter. Eine der Silhouetten knurrte irgendetwas auf Russisch. Silvan II zog aus einer Tasche eine alte 9-mm-Beretta mit Schalldämpfer hervor. Torriti presste die Lippen an Silvans Ohr und flüsterte: »Schieß nur auf den Uniformierten.«
Silvan II stützte das rechte Handgelenk mit der linken Hand ab, zielte auf die größere der beiden Gestalten und drückte ab. Jack hörte ein schnelles Zischen, als wäre Luft aus einem Reifen gelassen worden. Eine der beiden Taschenlampen polterte zu Boden. Die Gestalt, die sie in der Hand gehalten hatte, schien mit den Schatten auf dem Dach zu verschmelzen. Schwer atmend hob der andere Mann beide Arme, in einer Hand die Taschenlampe, in der anderen eine Pistole. »Ich weiß, dass Sie es sind, Torriti«, rief er mit heiserer Stimme. »Nicht schießen. Ich bin vom KGB.«
Jacks Blut war in Wallung. »Herrgott, erschieß den Mistkerl!«
Der Zauberer drückte Silvan II den Arm nach unten. »Deutsche sind Freiwild, aber nicht KGB-Leute. Wir schießen nicht auf die, und die schießen nicht auf uns.« Dem Russen rief er zu: »Waffe fallen lassen.«
Der Russe, ein stämmiger Mann in Mantel und Filzhut, musste gewusst haben, was kommen würde, denn er drehte sich um und legte vorsichtig Taschenlampe und Waffe hin. Er richtete sich wieder auf, nahm den Hut ab und wartete.
Auf Zehenspitzen ging Silvan II über das Dach von hinten auf den Russen zu und schlug ihn mit dem Griff seiner Pistole k.o. Geschickt fing er ihn unter den Armen auf und ließ ihn sachte zu Boden gleiten.
Gleich darauf eilten die drei über die halbdunkle Treppe des Mietshauses nach unten und huschten durch einen nach Urin stinkenden Flur hinaus in eine Gasse, in der Mülltonnen übereinander gestapelt waren. Hinter den Mülltonnen war der Düngemittellaster versteckt. Wortlos verschwand Silvan II in der Dunkelheit die Gasse hinunter. Torriti und Jack kletterten in den Hohlraum unter dem Dach, zogen die Leiter hoch und verschlossen die Luke. Der Motor sprang leise stotternd an, und der Laster fuhr langsam aus der Gasse hinaus in Richtung des französischen Sektors der geteilten Stadt.
Nicht einmal die alten Hasen in der Berliner Basis hatten Torriti jemals so außer sich erlebt. »Ich fasse es einfach nicht«, wetterte er so laut, dass seine heisere Stimme durch die unterirdischen Flure hallte, »der KGB-Penner auf dem Dach kannte sogar meinen Namen. « Torriti schüttete Whiskey in ein Glas, kippte ihn in sich hinein und gurgelte, bevor er schluckte. Das Brennen des Alkohols beruhigte ihn. »Okay«, wies er seine Nachteule an, »lassen Sie hören, aber schön langsam.«
Miss Sipp schlug die Beine übereinander und fing an, das Operationsprotokoll vorzulesen. Sie musste die Stimme heben, um die
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