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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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der Stadt eine russische Geliebte hatte, war von seinen Dünger-Lieferfahrten häufig erst weit nach Mitternacht zurückgekehrt, was die Grenzposten zu zotigen Bemerkungen veranlasst hatte. Ein Agent des französischen Spionagedienstes SDECE mit Diplomatenpass, der ihn als stellvertretenden Kulturattaché auswies, sollte um Mitternacht auf dem Rückweg von einem Abendessen in der sowjetischen Botschaft an dem Kino vorbeifahren. Die Diplomaten der Alliierten erkannten die Autorität der ostdeutschen Polizei nicht an und stoppten daher nicht für Passkontrollen. Sein Citroën, mit Diplomatenkennzeichen und einer kleinen französischen Flagge auf dem Kotflügel, würde den Zauberer und Jack an den Grenzposten vorbei nach Westberlin bringen. Die zwei Rumänen würden in Ostberlin untertauchen und am frühen Morgen, wenn die Arbeiter über die Grenze zur Arbeit gingen, in den Westen zurückkehren. Wischnewskis Sohn würde von einem holländischen Ägyptologen, der in Begleitung seiner Frau nach Ostberlin gekommen war, um in einem Berliner Museum Kunstwerke zu datieren, in den Westen geschmuggelt. Das Ehepaar würde mit einem gefälschten Familienpass, dessen Foto unscharf war und aufgenommen wurde, als der Junge angeblich fünf Jahre jünger war, sowie einem Visum für alle drei zurück nach Westberlin reisen. Der Zauberer hatte alles ein halbes Dutzend Mal durchexerziert; die schläfrigen Vopos an den Grenzübergängen hatten die Familie stets nach einem flüchtigen Blick auf das Passfoto durchgewinkt. Sobald die drei Russen in Westberlin waren, würden sie auf schnellstem Weg zum Flughafen Tempelhof gebracht, wo eine Frachtmaschine der US-Luftwaffe bereitstand, die sie zum Frankfurter Aufnahmezentrum für Überläufer und dann weiter zum Luftwaffenstützpunkt Andrews in Maryland fliegen sollte.
    Doch der Erfolg der Exfiltration hing davon ab, dass Wischnewski und seine Familie ihre Beobachter abschütteln konnten und es in die Wohnung über dem Kino schafften. Torriti tigerte weiter durchs Zimmer und blieb nach jeder Runde am Fenster stehen, um über die Schulter von Silvan II auf die Straße zu spähen.
    Wieder meldete sich die Beobachterin. »Der Film ist zu Ende.
    Alle müssen gehen. Gute Nacht. Vergessen Sie bitte nicht, das Geld auf mein Konto einzuzahlen.«
    Unten auf der Straße kamen Gestalten in Wintermänteln aus dem Kino geeilt. Silvan I, der unter einer Straßenlaterne mit den Füßen stampfte, blickte kurz zu dem schwach erhellten Erkerfenster hoch und zuckte besorgt mit den Schultern. Jack nahm die Antenne ab und fing an, sie in den Tragekoffer des Funkgeräts zu packen. »Wie lange gedenkst du noch zu warten, Harvey?«, fragte er.
    Der Zauberer, der vom Alkoholentzug schwitzte, fuhr herum. »Wir warten, bis ich beschließe, nicht mehr zu warten«, fauchte er.
    »Er sollte vor Ende des Films hier sein«, entgegnete Jack. »Wenn er jetzt noch nicht da ist, kommt er wahrscheinlich auch nicht mehr. Wenn er nicht aufgeflogen ist, können wir die Exfiltration auf einen anderen Abend verschieben.«
    Silvan II sagte nervös: »Wenn der Russe aufgeflogen ist, dann ist es die Wohnung hier vielleicht auch, und wir stecken ganz schön tief in der Scheiße, Boss.«
    Torriti kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Er wusste, dass sie Recht hatten; wenn der Russe nicht kam, war es unvernünftig, noch länger in der Wohnung zu bleiben. »Okay, wir geben ihm noch fünf Minuten, und dann nichts wie weg hier«, sagte er.
    Die Zeit verstrich mit quälender Langsamkeit, zumindest kam es Jack so vor, der den Sekundenzeiger seiner Armbanduhr nicht aus den Augen ließ. Am Fenster wiegte Silvan II den Kopf von einer Seite zur anderen, während er leise vor sich hin summend die Straße beobachtete. Plötzlich presste er die Stirn gegen die Scheibe und fasste sich an den Bauch. »Ach du grüne Neune«, keuchte er, »Silvan hat den Hund hochgehoben.«
    »Verdammt«, rief Jack, der wusste, was das Zeichen bedeutete.
    Der Zauberer blieb wie erstarrt stehen, beschloss, dass er dringend einen Schluck medizinischen Whiskey brauchte, um einen klaren Kopf zu bekommen.
    Silvan II rief: »Da kommen sie – eins, zwei, ach du Scheiße, sieben, nein, acht Polizeiwagen. Silvan verzieht sich um die Ecke.«
    »Zeit, dass wir uns auch verziehen«, verkündete Torriti. Er nahm seinen zerknautschten Mantel von einer Stuhllehne, Jack packte das Funkgerät ein, und nacheinander schlüpften sie durch die Tür und stiegen die schmale Stiege hinauf.

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