Die Company
Schallplatte mit Tito Gobbis Interpretation von Scarpia zu übertönen.
»Erstens«, sagte Miss Sipp. »Der Lauschposten der Berliner Basis hat verstärkten Funkverkehr zwischen Moskau und Karlshorst und umgekehrt bemerkt, und zwar fünfundachtzig Minuten bevor der Überläufer mit Frau und Kind am vereinbarten Treffpunkt sein sollte.«
»Die Scheißkerle haben ihren Marschbefehl direkt von Stalin erhalten«, fauchte der Zauberer.
»Zweitens: Die Schwester der Putzfrau, die in dem Hotel bei Karlshorst arbeitet, rief ihre Kontaktperson in Westberlin an, die uns anrief, um uns zu sagen, dass die Russen wie aufgescheuchte Hühner herumliefen, was heißen will, irgendetwas war los.«
»Wann war das?«, fragte Jack, der an einer Wand lehnte.
»Ungefähr sechzig Minuten vor Zeitpunkt X.«
»Die haben gewusst, dass da eine Exfiltration laufen sollte«, sagte der Zauberer mehr zu sich selbst als zu den acht Leuten, die sich zur Manöverkritik in seinem Büro drängten. »Aber sie haben die Informationen erst spät in die Hände bekommen.«
»Vielleicht hat Wischnewski kalte Füße gekriegt«, mutmaßte Jack. »Vielleicht ist er so sehr ins Schwitzen gekommen, dass er Verdacht erregt hat.«
Der Zauberer wischte die Möglichkeit mit einer Handbewegung vom Tisch. »Das war ein harter Bursche, Kumpel. Der ist nicht so weit gegangen, um im letzten Moment auszusteigen.«
»Vielleicht hat seine Frau die Nerven verloren.«
Torriti hob nachdenklich die Brauen. Dann schüttelte er den Kopf. »Er hatte alles genau durchdacht. Erinnerst du dich, dass er wissen wollte, ob wir ein Mikro versteckt hatten? Da hat er mich getestet. Seine Frau hat er ganz bestimmt auch getestet. Wenn er den Eindruck gehabt hätte, dass sie die Nerven verlieren würde, wäre er ohne sie abgehauen. Seinem Sohn musste er nur erzählen, sie würden ins Kino gehen.«
Torriti schloss die Augen und hob die Nase in Richtung von Miss Sipp. Sie blickte nach unten auf das Protokoll.
»Gott, wo war ich? Ach ja, drittens: Der Rabbi im deutsch-jüdischen Kulturzentrum hat gemeldet, dass Truppen von der ostdeutschen Hauptverwaltung Aufklärung auf dem Hof der Schule in Pankow antraten, wo Fahrzeuge bereitstanden. Das war fünfunddreißig Minuten vor Zeitpunkt X.«
»Der Zeitrahmen lässt vermuten, dass die Russen einen Tipp bekommen haben, nicht die Deutschen.«
Alle Köpfe wandten sich dem Sprecher zu, der relativ neu in der Berliner Basis war: E. Winstrom Ebbitt II., Ebby, wie seine Freunde ihn nannten. Ein kräftiger, breitschultriger Anwalt, war er in den letzten Kriegsmonaten für den OSS im Einsatz gewesen und erst seit kurzem bei der Company und gleich nach Berlin abkommandiert worden, wo er für das Einschleusen von Emigranten als Agenten in bestimmte Gebiete Osteuropas und der Sowjetunion zuständig war. Er hatte die ganze Nacht im Funkraum auf Nachricht von zwei seiner Leute gewartet, die über Polen mit dem Fallschirm abgesprungen waren. Neugierig, etwas über die abgebrochene Exfiltration zu erfahren, war er ins Büro des Zauberers gekommen. »Ich nehme an, die Russen haben ihre Deutschen im letzten Moment eingeschaltet«, fügte Ebby hinzu, »die trauen denen nämlich genauso wenig wie wir unseren Deutschen.«
Der Zauberer warf dem jungen Mann mit den langen, welligen Haaren und den ausgefallenen breiten Hosenträgern, der auf einem der Bürosafes saß, einen bösen Blick zu. »Elementare Schlussfolgerung, mein lieber Watson«, sagte Torriti spöttisch.
»Übrigens, haben Sie was von den Lämmern gehört, die Sie zur Schlachtbank geschickt haben?«
»Leider nein, Harvey. Sie haben sich zur vereinbarten Zeit nicht gemeldet. Morgen Abend ist der nächste Termin.«
»Wie ich gesagt habe, die verdammten Barbaren gewinnen den verdammten Krieg.« Torriti wandte seine Aufmerksamkeit wieder Miss Sipp zu.
»Viertens: Gehlens Nachtdienst-Offizier hat übers rote Telefon aus Pullach angerufen und uns mitgeteilt, einer ihrer Späher in der sowjetischen Zone habe beobachtet, dass die Volkspolizei die Zufahrtsstraßen zum sowjetischen Luftwaffenstützpunkt in Eberswalde absperrten. Minuten später – etwa zu der Zeit, als der Überläufer eigentlich munter in Ihrer Geheimwohnung sein sollte, Mr. Torriti – sah der Späher einen Konvoi Tatra-Limousinen aufs Rollfeld fahren. Mitten im Konvoi befand sich ein Sanitätswagen. Aus den Tatras stiegen Dutzende von Zivilisten – angeblich KGB-Leute, der Kleidung nach zu urteilen. Aus dem Sanitätswagen wurden
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