Die Company
hab ich ja noch ganz gut hingekriegt, aber als Tripelagent würde ich nachts kein Auge mehr zutun, weil ich mich dauernd fragen müsste, für welche Seite ich eigentlich arbeite.« Er lachte schallend.
Jewgeni nahm einen Schluck von seinem Whisky. »Wie war das«, fragte er, Philby über den Rand seines Glases musternd, »nach all den Jahren nach Hause zu kommen?«
»Wie ich Ihnen schon damals gesagt habe, als Sie wollten, dass ich mich aus dem Staub mache: England ist mein Zuhause, alter Junge, nicht Russland«, sagte Philby mit unverhohlener Bitterkeit. »Mit Russland fühlte ich mich ideologisch verbunden, aber ich hätte mir nicht im Traum vorstellen können, hier zu leben. Wenn man das hier leben nennen kann. Immerhin, die Wohnung ist luxuriöser als der Knast in England.« Er presste erneut ein Lachen durch zusammengebissene Zähne.
Philbys neue Frau – nach seiner Flucht nach Moskau im Jahre 1963 hatte er Donald Macleans Frau geheiratet – streckte den Kopf ins Zimmer. »Kim, bleibt dein Bekannter zum Tee?«, fragte sie mit einer fröhlichen Stimme, die in dem tristen Ambiente fehl am Platz wirkte.
»Ja, b-b-bleiben Sie doch«, sagte Philby hoffnungsvoll.
»Nett von Ihnen, aber ein andermal«, erwiderte Jewgeni.
»Da kann man nichts machen«, sagte Philby und winkte seine Frau aus dem Raum. Er fixierte seinen Besucher mit blutunterlaufenen Augen. »Die trauen mir nicht, alter Junge, stimmt’s?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Natürlich wissen Sie’s.« Philby wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Starik ist unsicher, er weiß nicht, was er von mir halten soll. Der KGB hat mir den Lenin-Orden an den B-b-blazer geheftet – damals war ich noch richtig stolz drauf, aber inzwischen habe ich so meine Zweifel. Der KGB-Oberboss, Genosse Andropow, hält mich sich vom Leibe – hat n-n-nicht mal den Anstand besessen, mir den Rang eines KGB-Offiziers zu verleihen. Für ihn bin ich noch immer ein kleiner Agent. Jeden Freitagabend lässt er mich antanzen, damit ich irgendwelchen Leuten, deren Gesichter schön im Schatten bleiben, verklickere, wie das Leben in England und den Staaten ist.« Philby schloss einen Moment die Augen. »Ich erzähle ihnen auch, wie James Jesus Angletons Verstand arbeitet. Ich bin nun wirklich der Experte für Jimbo, was, Kumpel? Für uns ist Jimbo Angleton ein wahrer Gewinn. Dank meiner Wenigkeit misstraut er absolut jedem, deshalb nimmt ihn auch keiner richtig ernst.«
Philby nahm einen kräftigen Schluck Lagavulin. »Ich verrate Ihnen ein Geheimnis, Kumpel, wenn Sie versprechen, es nicht gerade Hinz und Kunz zu erzählen. Als ich nach meiner Flucht hier ankam, hat Jimbo mir eine Nachricht zukommen lassen – handschriftlich, auf der Titelseite eines Buches, das ich in London bestellt hatte. Er hat sie sogar unterschrieben – mit einem dicken, fetten J für Jimbo.«
»Wie lautete die Nachricht?«
» Amicitia nostra dissoluta est – unsere Freundschaft ist beendet. Das hat Nero an Seneca geschrieben, als er seinen früheren Erzieher aufgefordert hat, Selbstmord zu begehen.« Philby kicherte wie ein Schulmädchen. »Der gute Jim hatte wohl ein bisschen den Realitätssinn verloren, wenn er tatsächlich geglaubt hat, ich würde mir die Pulsadern aufschneiden, nur weil er mir die Freundschaft aufkündigt.«
Er verfiel in trübseliges Schweigen. Nach einer Weile sagte Jewgeni: »Dachten Sie schon mal daran zurückzugehen?«
»Wenn ja, würde ich Ihnen das bestimmt nicht unter die Nase reiben, Kumpel. So verrückt bin ich noch nicht.« Er nahm noch einen großen Schluck. »Ehrlich gesagt, selbst wenn ich zurückkönnte, die Genugtuung würde ich den Scheißkerlen nicht gönnen.«
Sie plauderten noch eine halbe Stunde weiter, über das laufende Amtsenthebungsverfahren gegen Nixon, über Breschnew und über die Dissidenten. Ja, sagte Philby, er habe in der englischen Presse über die russischen Dissidenten gelesen und Solschenizyns Archipel Gulag in London bestellt, erwarte es jeden Tag. Einer von Andropows Lakaien sei kürzlich bei ihm mit einer Unterschriftenliste gegen systemkritische Schriftsteller aufgekreuzt, doch er habe ihn zum Teufel geschickt.
Als Philby schließlich Jewgeni zur Tür brachte, in einer Hand einen Drink, mit der anderen an der Wand Halt suchend, sagte er leicht lallend: »Die Russen sind ein bisschen schizo, nicht? Ich denke, das kommt daher, dass ein Russe, Peter der Große, versucht hat, Deutsche aus ihnen zu machen, und eine Deutsche,
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