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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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den Empfehlungen meines Mentors. Sagen Sie mir, was ich zu tun habe.«
    Es war alles ganz einfach gewesen: Jewgeni hatte eine Reisetasche gepackt, über die Schulter gespuckt, damit es ihm Glück brachte, und sich dann kurz auf die Reisetasche gesetzt, bevor er zum Flughafen fuhr und eine Chartermaschine nach Paris bestieg. Von dort war er mit einem Nachtzug nach Wien gefahren, wo er (unter Verwendung eines kanadischen Passes) ein ungarisches Schiff bestieg, das ihn auf der Donau nach Budapest brachte. In einem Café in Pest war er von der ungarischen Geheimpolizei abgeholt und zur KGB-Residentur gebracht worden, wo er einen australischen Pass erhalten hatte, bevor er mit einer Aeroflot-Maschine weiter nach Moskau flog. Am Flughafen Scheremetjewo angekommen, hatten ihn zwei Männer in Zivil mit einem schwarzen Zil abgeholt.
    »Der general polkownik erwartet Sie«, sagte einer von ihnen.
    Fünfundvierzig Minuten später war der Wagen in eine schmale Straße eingebogen, neben der ein Schild mit der Aufschrift »Studienzentrum – Zutritt verboten« angebracht war. Die bewaffneten Wachleute in dem kleinen Torhaus hatten den Wagen durchgewinkt. Kurz darauf erhob sich am Ende der Kieszufahrt die Apatow-Villa, die Jewgeni Anfang der Fünfzigerjahre zum ersten Mal besucht hatte. Drei kleine Mädchen in Badeanzügen kreischten vergnügt in einem Plastikplanschbecken. Gleich darauf hatte Pawel Semjonowitsch Shilow persönlich die Tür seiner Wohnung im ersten Stock geöffnet und Jewgeni verlegen umarmt.
    »Willkommen, Jewgeni Alexandrawitsch«, murmelte er. »Willkommen zu Hause.«
    »Zu Hause«, wiederholte Jewgeni. »Die lange Reise, wieder hier zu sein, das alles kommt mir so unwirklich vor wie ein Traum.«
    Starik wirkte nach all den Jahren noch hagerer. Seine Haut war fleckig und ledern, sein dünner Bart war weiß geworden, doch das Glimmen in seinen grüblerischen Augen brannte noch genau so, wie Jewgeni es in Erinnerung hatte, und wenn er konzentriert die Augen zusammenkniff, meinte man, er könne allein durch seinen Blick eine Kerze entzünden.
    »Du hast unserer großen Sache und mir vortrefflich gedient«, sagte Starik jetzt, als er Jewgeni durch mehrere Zimmer hindurch in die geräumige, holzgetäfelte Bibliothek führte.
    Zwei kleine Mädchen in kurzen Kleidchen hockten auf dem Boden und spielten Mikado. Starik scheuchte sie nach draußen. »So, jetzt haben wir unsere Ruhe«, sagte er zu Jewgeni und bedeutete ihm, auf einem Stuhl an dem großen Holztisch in der Mitte des Raums Platz zu nehmen. Er setzte sich ihm gegenüber, füllte zwei Gläser mit Mineralwasser und schob eines seinem Gast zu. »Auf dein Wohl«, sagte er, sein Glas hebend. »Nur wenige setzen sich so unerschütterlich und so selbstlos für unseren großen Kampf ein, die Genialität und Großzügigkeit des menschlichen Geistes zu fördern. Nur wenige halten so treu an unserer gemeinsamen Vision fest, dass die Menschheit imstande ist, eine auf Gleichheit gestützte Gesellschaft zu schaffen, sobald sie die kapitalistische Ausbeutung und Entfremdung abgeschüttelt hat.«
    »Nur wenigen wird die Gelegenheit gegeben zu dienen«, erklärte Jewgeni.
    Starik befeuchtete sich die Lippen mit Mineralwasser. »Du musst erschöpft sein –«
    Jewgeni lächelte. »Es geht schon wieder.«
    »Sobald du dich etwas eingelebt hast – in den Lenin-Hügeln steht dir eine Wohnung zur Verfügung –, sprechen wir ausführlich über operative Angelegenheiten. Jetzt würde ich gerne wissen …«
    Als Starik zögerte, sagte Jewgeni: »Fragen Sie, was Sie möchten.« Starik beugte sich vor, seine Augen brannten sich in Jewgenis.
    »Wie ist es?«, fragte er mit feierlichem Ernst.
    »Wie ist was? «
    »Amerika. Wie ist Amerika wirklich? Ich war schon mal in der Deutschen Demokratischen Republik und in Kuba und einmal in Kanada, aber noch nie in Amerika. Ich erfahre alles immer nur gefiltert. Und deshalb bitte ich dich, Jewgeni: Beschreibe mir Amerika.«
    Jewgeni war verblüfft, eine solche Frage von einem Mann zu hören, der Zugang zu allen erdenklichen Geheimdienstdokumenten hatte, der jeden Tag die New York Times lesen konnte, die der KGB übersetzen ließ. »Die Amerikaner sind ein großartiges Volk«, begann Jewgeni, »sie sind in einem schrecklichen System gefangen, das ihre schlechtesten Seiten zutage fördert, so wie unser System unsere besten Seiten. Der Kapitalismus fördert Besitzerwerb und -vermehrung. Die Menschen sind konditioniert, sich selbst und andere nach

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