Die Company
Katharina die Große, versucht hat, Russen aus ihnen zu machen.« An der Tür, auf der Philbys sowjetischer Deckname – SYNOK, TOM – unter der Wohnungsnummer stand, ergriff Philby Jewgenis Revers. »Schon das Neuste gehört? Die Briten wollen einen Film über mich drehen. Und M-m-michael York soll mich spielen. Schlechte Wahl, finde ich. K-k-kann mir nicht vorstellen, wie er das hinkriegen soll. M-m-michael York ist schließlich kein Gentleman, oder?«
Jewgeni hatte SASHAs tote Briefkästen im Schnitt einmal alle drei, vier Wochen mit solcher Regelmäßigkeit beliefert oder geleert, dass ihm nie der Gedanke an einen Heimaturlaub gekommen war. Doch eines Abends, etwa einen Monat vor seinem Wiedersehen mit Philby, hatte er in seiner kleinen Wohnung über der Garage in Tysons Corner die Antenne gespannt, den Radiowecker auf die Frequenz von Radio Moskau eingestellt und die Quizsendung empfangen. Als er einen seiner persönlichen Codes aus Alice hinter dem Spiegel erkannte – Ich möchte doch nicht einfach von jemand anderem geträumt werden –, hatte er wie immer mit seinem Zehn-Dollar-Schein und der Gewinnzahl eine Washingtoner Telefonnummer ermittelt. Um Punkt Mitternacht hatte er sie von einer Telefonzelle aus gewählt. Die ältere Frau mit dem osteuropäischen Akzent war gleich am Apparat gewesen.
»Gene?«
»Ja, ich bin’s.«
»Ah, mein lieber Junge« – er hörte sie erleichtert aufatmen – »es tut gut, Ihre Stimme zu hören. Schön zu wissen, dass Sie wohlauf sind.«
Aus Sicherheitsgründen fasste Jewgeni sich gerne kurz, denn es war nicht auszuschließen, dass das Gespräch abgehört, der Anruf zurückverfolgt wurde. Aber diesmal war die Kontaktperson zum Residenten in Plauderlaune. Und er mochte ihre Stimme.
»Wissen Sie, Gene, dass das unser siebzehntes Gespräch in dreiundzwanzig Jahren ist?«
Jewgeni musste lachen. »Ehrlich gesagt, ich hab nicht mitgezählt.«
»Aber ich«, sagte die Frau mit Nachdruck. »Sie sind meine einzige Aufgabe – der Grund, warum ich immer noch in diesem gottverlassenen Amerika bin. Siebzehn Gespräche in dreiundzwanzig Jahren! Nach jedem Telefonat mit Ihnen muss ich umziehen – in eine neue Wohnung mit einer neuen Telefonnummer. Und dann warte ich auf den Bescheid, dass Sie anrufen, auf die Instruktionen, die ich an Sie weitergeben soll.«
»Sie sind ein wichtiges Bindeglied –«, setzte Jewgeni an, doch die Frau sprach ungerührt weiter.
»Inzwischen habe ich das Gefühl, Sie zu kennen, Gene. Manchmal sind Sie für mich wie der Sohn, den mir die Faschisten in Polen vor einer Ewigkeit genommen haben.«
»Das tut mir Leid –«
Die Frau merkte wohl, dass sie ins Plaudern geraten war. »Sie müssen mir verzeihen, Gene – aber ich bin ziemlich allein auf der Welt. Und ich freue mich immer, wenn ich mit Ihnen sprechen kann.« Sie räusperte sich abrupt. »Umso mehr schmerzt es mich, Ihnen eine traurige Nachricht mitteilen zu müssen. Ihr Vater ist vor zehn Tagen an beiden Knien operiert worden, da er sonst den Rest seines Lebens im Rollstuhl hätte sitzen müssen. Sein Herz war schwächer, als die Ärzte vermutet hatten, denn zwei Tage später hat er einen Schlaganfall erlitten. Er ist halbseitig gelähmt. Er kann hören, aber nicht sprechen. Ihr Mentor, der alte Mann, hat ihm von Ihrer Aufgabe erzählt, und Ihr Vater war sehr stolz, dass Sie in seine Fußstapfen getreten sind.«
In der engen, stinkenden Telefonzelle hatte Jewgeni sich gefragt, wie seine Gefühle für seinen Vater waren; und er hatte sich eingestehen müssen, dass er nichts für ihn empfand. Er hatte seinen Vater nie geliebt, ja kaum gemocht; er fühlte sich der unbekannten Frau, mit der er telefonierte, näher als seinem Vater. Jetzt, da er das Schattenleben eines Undercover- Agenten führte, wusste er zumindest, dass sein Vater – der ebenfalls für Starik undercover gearbeitet hatte – starke Nerven und eine gehörige Portion Mut gehabt haben musste.
»Gene, sind Sie noch da?«
»Ja.«
»In Anbetracht des bedenklichen Gesundheitszustands Ihres Vaters hält Ihr Mentor es für angebracht, dass Sie nach Hause kommen. Sie haben sich längst einen Urlaub verdient –«
Jewgeni hätte beinahe ins Telefon gelacht. Das Wort Urlaub klang nach einem geregelten Achtstundenjob in einer Bank. »Ich weiß nicht … Es ist dreiundzwanzig Jahre her …«
»Ach, lieber Junge, Sie brauchen keine Angst zu haben, nach Hause zu fahren.«
»Sie haben natürlich Recht. Und außerdem folge ich stets
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