Die Company
Runde. »Ich werde darüber nachdenken«, sagte er schließlich.
Zuerst dachte Jack, man hätte ihn in die falsche Zelle gelassen. Der Mann, der da auf dem Boden auf einer Wolldecke saß, den Rücken gegen die gepolsterte Wand gelehnt, kam ihm fremd vor. Er sah aus wie einer der Überlebenden eines Konzentrationslagers, die er auf Fotos gesehen hatte: dünn, verhärmt, mit wilden Bartstoppeln und eingefallenen Wangen, so dass die leeren Augen übergroß und unendlich traurig wirkten. Er trug einen übergroßen Pyjama und nagte an der Unterlippe, die wund und blutig war. Der Mann hob eine zitternde Hand, um die Augen vor den drei nackten Glühbirnen abzuschirmen, die von der hohen Decke baumelten. »Neugierig, wie es in Angletons Kerkern aussieht, Jack?«
Jack stockte der Atem. »Leo, bist du das?«
Leos maskenhaftes Gesicht verzog sich zu einem schiefen Grinsen. »Ja, ich bin’s, das heißt, was von mir übrig ist.« Er wollte sich hochhieven, ließ sich aber vor Erschöpfung wieder sinken. »Kann dir leider außer Wasser nichts anbieten. Du kannst einen Schluck haben, Jack, wenn es dir nichts ausmacht, aus der Kloschüssel zu trinken.«
Jack ging vor Leo in die Hocke und sah ihn an. »Allmächtiger Gott, ich hatte keine Ahnung …« Er wandte den Kopf und starrte auf die Blechtasse auf dem Boden neben der Toilette. »Wir hatten alle keine Ahnung …«
»Hättest es rausfinden können, Jack«, sagte Leo mit Verbitterung in der Stimme. »Hättest mich nicht in Angletons Krallen lassen dürfen. Ich habe Durchfall – ich mache das Klo mit der Hand sauber, damit ich anschließend daraus trinken kann.«
Jack versuchte, sich auf den Grund seines Kommens zu besinnen. »Leo, du musst mir zuhören – du musst hier nicht bis ans Ende deiner Tage verfaulen, auch nicht im Gefängnis.«
»Warum sollte ich ins Gefängnis gehen, Jack?«
»Wegen Hochverrats. Weil du dein Land verraten hast. Weil du für den Russen spioniert hast, den wir als Starik kennen.«
»Du glaubst das, Jack? Du glaubst, ich bin SASHA?«
Jack nickte. »Wir wissen es, Leo. Dir bleibt nichts anderes übrig, als endlich zu gestehen. Wenn du schon nicht an dich denkst, denk an Adelle. Denk an die Zwillinge. Es ist noch nicht zu spät –«
Schleim sickerte Leo aus einem Nasenloch. Mit einer lethargischen, langsamen Bewegung hob er den Arm und wischte sich mit dem Ärmel der schmutzigen Pyjamajacke über die Nase. »Woher willst du wissen, dass ich SASHA bin?«, fragte er.
Jack ließ sich nach hinten auf den Boden sinken. Er spürte, wie kalt es in dem Raum war. »Wir haben einen russischen Überläufer«, sagte er. »Wir haben ihm den Codenamen AE/PINNACLE gegeben. Ebbys Sohn Manny hatte Nachtwache, als der Russe sich das erste Mal gemeldet hat. Seitdem betreut Manny ihn.«
Leos Augen brannten sich in Jacks; ihm dämmerte, dass Jacks Besuch äußerst ungewöhnlich war; er war erstaunt, dass Angleton das zuließ. »Und dieser AE/PINNACLE hat mich namentlich identifiziert? Er hat gesagt, Leo Kritzky ist SASHA?«
»Er hat gesagt, SASHAs Nachname beginnt mit K. Er hat gesagt, SASHA spricht fließend Russisch.«
»Woher will er das alles gewusst haben?«
»Der Überläufer hat im Direktorat S in der Moskauer Zentrale gearbeitet, in der Abteilung, die für illegale –«
»Verdammt, ich weiß, was das Direktorat S ist.«
»Er war direkt diesem Starik unterstellt. Im September ’72 hat er für Starik eine Reise nach Neuschottland vorbereitet, Starik wollte sich dort mit einem Agenten treffen.«
»Er hat gesagt, Starik wollte sich mit einem Agenten treffen?«
»Nein. Das haben wir vermutet. Wir haben vermutet, das Einzige, was Starik aus Russland locken würde, wäre ein persönliches Treffen mit seinem Agenten SASHA.«
»Und ich habe im September ’72 in Neuschottland eine Radtour gemacht.«
»Ja, Leo.«
»Aber das kann doch nicht alles sein. Was habt ihr noch?«
»AE/PINNACLE hat vom KGB-Residenten erfahren, dass SASHA zwei Wochen lang nicht in Washington war, und zwar bis Sonntag, dem sechsundzwanzigsten Mai.«
»Und zufällig war ich genau in der Zeit in Frankreich.« Leos Lachen wurde zu einem erstickten Gurgeln. »Das ist alles?«
»Jesus Christus, reicht das nicht?«
»Ist euch nie der Gedanke gekommen, dass Starik einen falschen Überläufer mit falschen Informationen gefüttert haben könnte, um den Falschen ans Messer zu liefern?«
»Wieso sollte Starik dich ans Messer liefern, Leo?«
»Um von dem Richtigen
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