Die Company
»Meine Lippen sind versiegelt, Leo. Von mir erfährt keiner was. Das schwöre ich.«
»Schön.«
Ebby und Elizabet verteilten schon langstielige Gläser mit Champagner, als Leo und Anthony schließlich eintrafen. Leo nahm sich ein Glas und ein zweites für Anthony. Jack sagte: »He, Leo, er ist noch ein Kind – Alkohol ist noch nichts für ihn.«
»Er war ein Kind, als er zur Hochzeit gefahren ist«, erwiderte Leo. »Auf dem Weg hierher ist er erwachsen geworden.«
»Auf das Hochzeitspaar«, sagte Ebby und hob sein Glas.
»Auf das Hochzeitspaar«, wiederholten alle im Chor.
Leo stieß mit Anthony an. Der Junge nickte, und die beiden tranken einen Schluck Champagner.
Später, als Manny gerade dabei war, eine weitere Flasche zu öffnen, kam Ebby aus seinem Arbeitszimmer nach unten. Er hatte ein kleines, in schlichtes Packpapier eingewickeltes Päckchen in der Hand und reichte es seinem Sohn. »Das ist mein Hochzeitsgeschenk für dich«, sagte er. Vor den Augen aller Gäste riss Manny das Papier ab, und zum Vorschein kam eine wunderschön gearbeitete Mahagonischatulle, die Ebby Jahre zuvor hatte anfertigen lassen. Manny öffnete die Schatulle. In den roten Filz eingepasst war ein britischer Webley-Revolver, in dessen poliertem Holzgriff das Jahr »1915« eingraviert war. Manny kannte die Geschichte der Waffe – es war der Revolver, den die jungen Albaner Ebby geschenkt hatten, bevor sie zu ihrer tödlichen Mission nach Tirana aufgebrochen waren. Er wog die Waffe in der Hand, blickte dann seinen Vater an. Elizabet, die von der Seite aus zusah, drückte sich den Handrücken an den Mund.
»Ich reiche sozusagen die Fackel an dich weiter«, sagte Ebby.
Manny sagte: »Danke, Dad. Ich weiß, was die Waffe dir bedeutet. Ich werde nie vergessen, wo du sie herhast. Und ich werde sie stets in Ehren bewahren.«
Anthony flüsterte Leo zu: »Wo hat er denn die Knarre her, Leo?« Er sah das viel sagende Lächeln auf den Lippen seines Patenonkels und lächelte zurück. »Alles klar, vergiss, dass ich gefragt habe, ja?«
Leo fuhr auf dem Dolly Madison Boulevard in McLean, Virginia, vorbei an dem Schild »CIA – nächste rechts«, das so häufig von Souvenirjägern stibitzt wurde, dass die Company es gleich dutzendweise nachbestellte, und bog dann an der nächsten Kreuzung ab. Am Pförtnerhäuschen hielt er an, kurbelte das Fenster runter und zeigte einem der Wachmänner seinen eingeschweißten CIA-Ausweis. (Leo hatte sich äußerlich so stark verändert, dass Jack ihm vorsichtshalber einen neuen Ausweis mit einem aktuellen Foto hatte ausstellen lassen.) Als er langsam die Zufahrtsstraße hinunterfuhr, sah er vor dem Haupteingang die Statue von Nathan Hale stehen (eine Idee von Director Colby) und steuerte dann auf die Tiefgarage zu, die für Abteilungsleiter und noch höherrangige Mitarbeiter reserviert war. Leo griff wieder nach seinem Ausweis, doch der Wachmann in seinem Häuschen winkte ab, als er den Leiter der Sowjetabteilung erkannte. »Schön, dass Sie wieder da sind, Mr. Kritzky«, rief er über den Lautsprecher. »Der Director möchte, dass Sie umgehend in sein Büro kommen.«
Während Leo auf den privaten Aufzug des Director wartete, hörte er die Druckerpresse in einem Raum hinten in der Tiefgarage summen; auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges war sie rund um die Uhr in Betrieb gewesen, um Geburtsurkunden, ausländische Pässe und Führerscheine sowie falsche Zeitungsausgaben und Propagandaflugblätter zu drucken. Als die Türen sich öffneten, betrat Leo den Aufzug und drückte den einzigen Knopf an der Metallleiste, woraufhin die Kabine sich in Bewegung setzte. Er war tief in Gedanken, als der Aufzug vor der siebten Etage langsamer wurde, wo die Büros des Director lagen. Er war ein bisschen nervös, weil er nicht wusste, was ihn an seinem ersten Tag erwartete. Jack hatte ihn zwar darüber informiert, was für ein Unwetter sich wegen Angletons Brieföffnungsoperation HT/LINGUAL zusammenbraute; ein Reporter der New York Times, ein Mann namens Seymour Hersh, hatte Wind von der illegalen Sache bekommen, die zwanzig Jahre gelaufen war, bevor Colby sie 1973 endgültig einstellte, und es war jeden Tag damit zu rechnen, dass die Geschichte an die Öffentlichkeit kam. Alle in den oberen Etagen machten sich schon auf den großen Knall gefasst und auf dessen unvermeidliche Auswirkungen.
Die Fahrstuhltüren glitten auf. Leo hörte wogenden Applaus, und als er die Augen hob, sah er, dass ihm eine
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