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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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spät ist.«
    »Das Barbizon um elf«, sagte sie. »Darf ich Silvester mitbringen?«
    Eugenes Stimme wurde hart. »Wenn irgendjemand bei Ihnen ist, komme ich nicht.«
    »Mein guter, guter Gene. Silvester ist doch meine Katze.«
    Er lachte verlegen. »Ach so … dann bringen Sie Silvester ruhig mit. Das ist dann unser Erkennungszeichen – ich werde nach einer Frau Ausschau halten, die eine Katze dabeihat. Und Sie schauen sich nach einem übergewichtigen Mann mittleren Alters um, mit rotblondem Haar, der eine Ausgabe von Time unter dem linken Arm trägt –«
    »Auch ohne die Zeitschrift würde ich Sie sofort erkennen. Dann bis heute Abend?«
    »Bis heute Abend.«
     
    Eugene durchquerte die Halle und ging auf die vogelhafte Frau zu, die ganz hinten an einem kleinen Tisch saß. Sie war gekleidet wie die Frauen in alten Schwarzweißfilmen: auf dem silbrigen Haar ein Hütchen mit schwarzem Spitzenschleier, der über ihre Augen fiel, eine taillierte Kostümjacke mit wattierten Schultern über einem Satinrock, der fast bis zu den Füßen in warmen Winterschuhen reichte. Ihre Augen tränten, ob aufgrund ihres Alters oder vor Rührung, konnte er nicht sagen. In einem Korb neben ihr saß eine alte Katze mit räudigem Fell.
    »Ich weiß nicht mal Ihren Namen«, sprach Eugene sie an.
    »Ich aber Ihren, mein lieber Eugene.«
    Eine knochige Hand in weißem Spitzenhandschuh streckte sich ihm entgegen. Eugene ergriff sie, und in Erinnerung an das, was er als kleiner Junge von seiner Mutter über gute Umgangsformen gelernt hatte, verneigte er sich und hauchte einen Kuss auf den Handrücken. Dann zog er seinen Mantel aus und setzte sich ihr gegenüber.
    »Ich nehme einen Daiquiri«, sagte die Frau zu ihm. »Ich habe 1946 einen getrunken, kurz nach meiner Ankunft in Amerika.«
    Eugene winkte dem Kellner und bestellte einen Daiquiri und einen doppelten Cognac. Die alte Frau hielt sich an der Tischkante fest. »Mein Name«, sagte sie, »ist Aida Tannenbaum.«
    »Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mrs. Tannenbaum«, erwiderte Eugene und meinte es absolut ehrlich. Er kannte nur wenige Menschen, die so viel für die Sache getan hatten wie diese Frau.
    Der Kellner stellte die Getränke auf den Tisch und schob die Rechnung unter den Aschenbecher. Eugene sagte: »Das ist also Silvester.«
    Aida hob den Schleier mit einer Hand an und nippte an dem Daiquiri. Sie schluckte, verzog das Gesicht und schüttelte sich leicht. »Ach du je, so stark hatte ich den Daiquiri gar nicht in Erinnerung. Ja, das ist Silvester. Silvester, sag Eugene Guten Tag.« Sie beugte sich zu Eugene vor und senkte die Stimme. »Ich habe Anweisung, allein zu leben, und deshalb habe ich nie was von Silvester erzählt. Ich habe ihn Anfang der Siebzigerjahre auf der Feuertreppe einer der Wohnungen, die ich gemietet hatte, gefunden. Sie glauben doch nicht, dass sie was dagegen hätten, oder?«
    »Nein. Ich denke, das geht in Ordnung.«
    Sie schien erleichtert. »Erzählen Sie mir von sich, Eugene. Wie kommt es, dass ein Amerikaner – ich höre Ihrem Akzent an, dass sie von der Ostküste stammen, vermutlich New York – sich für die Sache engagiert …«
    »Man hat mich davon überzeugt, dass ich dazu beitragen könnte, die Genialität und die Großzügigkeit des menschlichen Geistes zu fördern.«
    »Genau das tun wir, mein lieber Junge. Natürlich weiß ich nicht, was es mit den Botschaften auf sich hat, die ich an Sie weitergebe, aber Sie sind ein sozialistischer Streiter an vorderster Front.«
    »Das sind Sie auch, Aida Tannenbaum.«
    »Ja.« Ihre Augen wurden trübe. »Ja. Obwohl ich zugeben muss, dass ich müde bin, Eugene, müde und erschöpft. Ich habe mein ganzes Leben an den verschiedensten Fronten gekämpft. Vor dem Krieg waren einige der Überzeugung, nur die Gründung eines zionistischen Staates in Palästina könnte die Juden schützen, aber ich war auf der anderen Seite – ich war überzeugt, die Ausbreitung des Sozialismus würde den Antisemitismus ausradieren und die Juden schützen, und so habe ich mich dem Kampf unter Führung des großen Jossif Stalin angeschlossen. Wenn ich ein religiöser Mensch wäre, was ich nicht bin, würde ich ihn bestimmt für einen Heiligen halten. Während des Krieges habe ich gegen die Faschisten gekämpft. Nach dem Krieg –« Sie nahm einen Schluck von ihrem Daiquiri und schüttelte sich wieder, als der Alkohol ihr in der Kehle brannte. »Nach dem Krieg konnte ich es kaum fassen, noch am Leben zu sein. Um was

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