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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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zum Hilton Inn machten. Ebby blieb unter einer Straßenlaterne stehen, um noch einmal den Brief zu überfliegen, in dem sein Anwalt ihm mitteilte, dass die Scheidung durch sei. Als er die anderen einholte, diskutierten sie gerade über Trumans Entscheidung von vor wenigen Tagen, die Armee einzusetzen, um einen Generalstreik der Eisenbahner zu verhindern. »Harry Truman«, sagte Jack, »ist ein harter Knochen.«
    »Er ist ein harter Streikbrecher«, erklärte Millicent.
    »Ein Präsident, der was taugt, darf nicht bei einem Streik klein beigeben, während das Land in Korea kämpft«, sagte Ebby.
    In ihr Gespräch vertieft, bemerkten die vier den kleinen Lieferwagen nicht, der ein Stück voraus am Straßenrand parkte. Als sie in Höhe des Wagens waren, flogen die Hecktüren auf, und vier Männer mit Pistolen sprangen hinter ihnen auf den Bürgersteig. Weitere dunkle Gestalten tauchten aus einer Gasse auf und versperrten ihnen den Weg. Leo wurde ein Sack über den Kopf gestülpt, die Hände wurden ihm auf den Rücken gerissen und mit Draht festgebunden. Er hörte einen Faustschlag und Jack erstickt nach Luft schnappen. Die vier Überfallenen wurden von starken Händen in den Lieferwagen verfrachtet und unsanft auf Zeitungsstapel gestoßen, die auf dem Boden verteilt waren. Die Türen knallten zu, der Motor sprang an, und der Wagen schoss so schnell voran, dass die Gefangenen hart gegen die Seitenwand geschleudert wurden. Leo wollte die anderen fragen, ob alles in Ordnung sei, als er spürte, wie etwas Metallisches an sein Ohr gepresst wurde. Er hörte Jack wütend sagen: »Das muss eine Verwechs–«, bevor er keuchend abbrach.
    Der Wagen bog scharf nach links und dann wieder nach links, beschleunigte dann mit heulendem Motor auf einer geraden Strecke. Er hielt mehrmals an, wahrscheinlich an Ampeln, und bog noch einige Mal ab. Zunächst versuchte Leo, sich die Strecke einzuprägen, verlor aber bald die Orientierung. Nach vielleicht fünfundvierzig Minuten hielt der Wagen an. Leo meinte, den dumpfen Klang von Nebelhörnern zu vernehmen. Er hörte ein Feuerzeug schnappen und musste die Panik niederkämpfen, die ihm wie Galle in die Kehle stieg – wollten die Entführer die Zeitungen anzünden und sie bei lebendigem Leib verbrennen? Doch dann roch er Tabakrauch und beruhigte sich wieder. Er sagte sich, dass es sich bestimmt um eine Übung handelte, eine vorgetäuschte Entführung – das war die einzige Erklärung, alles andere war undenkbar –, mit der die Leute von der Sowjetrusslandabteilung ihre neuen Rekruten testen wollten. Doch leiser Zweifel keimte in ihm, als er an Mr. Andrews’ Worte denken musste, dass Spione eine Obsession für Kleinigkeiten entwickeln. Plötzlich war seine Antenne auf Einzelheiten ausgerichtet. Warum waren die Entführer so schweigsam? Sprachen sie nicht seine Sprache oder sprachen sie mit Akzent? Oder ohne Akzent, was bedeuten könnte, dass sie CIA-Agenten waren? Aber wenn sie CIA-Agenten waren, wieso erinnerte ihn der Tabakgeruch an die groben »Herzegovina Flor«, die sein Vater bis zu dem Tag geraucht hatte, an dem er sich umgebracht hatte? Leos Gedanken schweiften ab, und verschwommene Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf: der Sarg seines Vaters, der auf einem windgepeitschten jüdischen Friedhof auf Long Island in die Erde gesenkt wurde; der Regen, der auf die schwarzen Schirme trommelte; die Fehlzündung des Autos, die wie ein Pistolenschuss klang; die Tauben, die in Panik von den Zweigen toter Bäume aufflogen; die eintönige Stimme, mit der der Bruder seines Vaters stockend Kaddisch sagte; das schmerzgequälte Wimmern, mit dem seine Mutter ständig wiederholte: »Was soll bloß aus uns werden? Was soll bloß aus uns werden?«
    Leo wurde jäh zurück in die Gegenwart geholt, als die Hecktüren aufgerissen wurden und eine frische Meeresbrise in den stickigen Lieferwagen strömte. Er und die anderen wurden von ihrem Zeitungsbett gezerrt und über eine Gangway in die Kajüte eines Bootes gestoßen. Sie mussten sich auf die Holzplanken legen, die nach Fisch stanken, und wurden mit einer schweren, von Motoröl durchtränkten Plane bedeckt. Die Planken vibrierten unter ihnen, als das Boot aufs Meer hinausfuhr. Die Motoren dröhnten eine Viertelstunde lang, wurden dann langsamer, bis sie im Leerlauf tuckerten, während das Boot wiederholt gegen irgendetwas Hartes stieß. Von dem schwankenden Boot wurde Leo auf einen hölzernen Anlegesteg geschleppt und eine lange, schmale Treppe

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