Die Company
Augenblick lang wirkte er fast glücklich. »Auf den Erfolg unseres hoffnungslosen Unterfangens!«
Später, auf der Straße, winkte Jewgeni seinen Wagen herbei. Ein Stück weiter fuhr ein BMW los und hielt vor ihnen. Ein kräftiger Mann mit einer bläulichen Narbe über die ganze Wange sprang vom Beifahrersitz und hielt die hintere Tür auf.
»Kann ich dich irgendwo absetzen?«, fragte Jewgeni.
»Ich geh lieber zu Fuß«, sagte Leo. »Ein bisschen Bewegung tut mir ganz gut.«
»Ich hoffe, wir sehen uns wieder«, sagte Jewgeni.
Leo studierte das Gesicht seines Freundes. »Was ich dich noch fragen wollte – bist du verheiratet?«
Jewgeni schüttelte den Kopf. »Es gab da mal jemanden – aber seitdem ist viel Zeit vergangen und viel geschehen.«
»Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät. Weißt du, wo sie jetzt ist?«
»Ich lese ab und zu was in der Zeitung über sie – sie gehört zu den Reformern um Jelzin. In gewissen Kreisen, bei den Reformern, beim KGB, ist sie dadurch ziemlich bekannt.«
»Melde dich bei ihr.«
Jewgeni trat gegen einen Reifen seines Wagens. »Sie würde mir nicht mal Guten Tag sagen.«
»Man kann nie wissen, Jewgeni.«
Als Jewgeni aufblickte, war sein Mund zu einem traurigen Lächeln verzogen. »Ich weiß es.«
»Auf die Ringstraße«, wies Jewgeni den Fahrer an. »Da ist um diese Zeit nicht so viel Verkehr.«
Er lehnte sich in das Leder des Sitzes zurück und betrachtete die schäbigen Autos und schäbigen Busse und schäbigen Gebäude, die am Fenster vorbeiglitten. An einem Rotlicht hielt der BMW neben einem Saab mit Chauffeur, einem Bodyguard auf dem Beifahrersitz und zwei kleinen Jungen im Fond. Beim Anblick der Kinder holte Jewgeni eine Flut von Erinnerungen ein. Wie oft waren er und sein Bruder Grinka, als sie klein waren, mit dem blank geputzten Wolga ihres Vaters zur Datscha in Peredelkino gebracht worden. Mein Gott, dachte er, wo sind all die Jahre geblieben? Wenn er sich morgens rasierte, passierte es ihm manchmal, dass er das Gesicht anstarrte, das ihn da aus dem Spiegel anblickte. Es kam ihm nur vage bekannt vor, wie ein entfernter Verwandter von der Seite der Tsipins, mit der hohen Stirn, den zusammengekniffenen Augen und dem kräftigen Kinn seines Vaters. Wie war es möglich, dass er jetzt zweiundsechzig Jahre alt war? Auch Leo, der immer jünger ausgesehen hatte, als er tatsächlich war, sah man an, dass die Jahre nicht spurlos an ihm vorbeigegangen waren. Aber Jewgeni fand von sich selbst, dass er richtig alt geworden war.
Vorn im BMW schimpften Jewgenis Fahrer und der Bodyguard auf Gorbatschow. Sie ärgerten sich weniger über die wirtschaftlichen oder politischen Reformen als über die suchoi sakon – die »trockenen Gesetze«, die er erlassen hatte, ein Alkoholverbot am Arbeitsplatz, um die Produktion anzukurbeln. Auf Gorbatschows Anweisung hin waren Wodkafabriken geschlossen und Weinanbaugebiete in Georgien und Moldawien untergepflügt worden. »Unter Breschnew«, erinnerte sich der Fahrer, »kostete die Halbliterflasche Wodka drei Rubel zweiundsechzig. Der Preis ging nie rauf und ging nie runter, nicht eine Kopeke. Man benutzte nicht mal das Wort Wodka – man fragte einfach noch einer Dreizweiundsechzig, und jeder wusste, was gemeint war. Heute können sich die Arbeiter in den Fabriken nicht mal Wodkaersatz leisten –«
Jewgeni fragte im Scherz: »Wie übersteht ein Russe denn überhaupt den Tag ohne Wodka?«
Der Bodyguard, der eine bläuliche Narbe im Gesicht hatte, drehte sich nach hinten um. »Sie brauen sich selbst ihren Wodkaersatz, Jewgeni Alexandrowitsch«, sagte er.
»Sag ihm das Rezept«, forderte der Fahrer ihn auf.
»In Afghanistan haben wir einhundert Milliliter Shigulew- Bier, dreißig Milliliter Shampoo der Marke Sadko der reiche Kaufmann, siebzig Milliliter pakistanisches Antischuppenshampoo und zwanzig Milliliter Insektenabwehrmittel zusammengemixt. Das Ergebnis war ein fürchterlicher Fusel, aber das Zeug lenkte wenigstens vom Krieg ab. Man musste es schnell runterkippen, damit man sich nicht die Kehle verätzte.«
Der Fahrer rief über die Schulter: »Ich hab einen Freund in der Miliz, der sagt, die Jugendlichen essen mittlerweile Schuhcremebrote.«
»Was ist denn ein Schuhcremebrot?«, fragte Jewgeni.
»Man schmiert sich Schuhcreme auf eine dicke Scheibe Weißbrot –«
»Wenn man Weißbrot kriegt«, spottete der Bodyguard.
»Man lässt sie fünfzehn Minuten liegen, bis das Brot den Alkohol aus der Schuhcreme aufgesaugt
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