Die Company
hat. Dann streicht man möglichst viel von der Schuhcreme wieder ab und isst das Brot. Es heißt, vier Scheiben genügen, um den Tag halbwegs heiter zu überstehen.«
Der Bodyguard warf erneut einen Blick nach hinten. »Braune Schuhcreme soll am besten sein«, fügte er hinzu.
»Danke für den Tipp«, sagte Jewgeni trocken.
Die beiden Männer auf den Vordersitzen grinsten. Jewgeni beugte sich vor und tippte dem Fahrer auf den Arm. »Hinter der Ampel rechts – die Klinik ist dann am Ende der Straße.«
Die Privatklinik des KGB war ein schmuddeliges, vierstöckiges Backsteingebäude mit einem Wintergarten auf dem Dach. Die beiden Aufzüge in der riesigen, kuppelförmigen Eingangshalle waren außer Betrieb, also nahm Jewgeni die Treppe in den dritten Stock. Zwei Frauen, dick eingepackt in zwei Pullover, die sie übereinander angezogen hatten, und mit Gummistiefeln an den Füßen, wischten den Korridor mit dreckigem Wasser. Jewgeni klopfte an die Tür, an der ein Zettel mit der Aufschrift »Shilow, Pawel Semjonowitsch« klebte, öffnete sie und blickte hinein. In dem Zimmer – mit einem Metallbett, einem Nachttisch, Wänden, an denen die senfgelbe Farbe abblätterte, einer Toilette ohne Deckel und zwei Fenstern ohne Jalousien oder Rollos und mit schlierigen Scheiben – war niemand. Jewgeni weckte die Krankenschwester, die am Ende des Korridors an einem Schreibtisch döste. Sie fuhr mit einem lackierten Daumennagel eine Liste entlang und deutete mit dem Kinn Richtung Dach. »Er ist oben, im Wintergarten«, sagte sie missmutig.
Etwa dreißig ehemalige KGB-Mitglieder, allesamt alt und krank, saßen auf einer Seite des Wintergartens – auf der anderen Seite zog es durch die Scheiben, die bei einem Hagelschauer im Winter zuvor zu Bruch gegangen und nicht repariert worden waren. Jewgeni entdeckte Starik zusammengesackt in einem Rollstuhl, den dünnen weißen Bart auf der Brust, die Augen geschlossen. Eine alte Wolldecke mit Spuren von getrocknetem Erbrochenem war ihm bis zu den Knöcheln gerutscht, und niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn wieder damit zuzudecken An einer provisorisch hinten am Rollstuhl befestigten Stange hing ein Tropf, dessen transparenter Schlauch durch einen Schlitz in Stariks Sweatshirt zu seiner Brust führte.
Jewgeni betrachtete den Mann im Rollstuhl. Wer immer für die Pflegepatienten verantwortlich war, er hatte ihm den letzten Rest Würde geraubt, seit er im Monat zuvor in die Klinik eingeliefert worden war. Starik trug eine verblichene rote Trainingshose und ein verdrecktes weißes Sweatshirt. Wie zum Spott auf seine ruhmreichen Dienste für sein Vaterland waren ihm vier Orden an die Brust geheftet. Jewgeni erinnerte sich, dass er angesichts seines sterbenden Vaters keinerlei Emotionen empfunden hatte, doch die hinfällige tolstoische Gestalt Stariks löste selbst jetzt noch Gefühle in ihm aus.
Jewgeni ging neben dem Rollstuhl in die Hocke und zog seinem Mentor die Wolldecke bis unter die Arme. »Pawel Semjonowitsch«, flüsterte er.
Stariks Augen öffneten sich. Er blickte seinen Besucher verwirrt an. Seine Kinnlade zitterte, als er ihn erkannte. »Jewgeni Alexandrowitsch«, nuschelte er durch eine Ecke seines halb gelähmten Mundes. Jeder Atemzug wurde von einem gequälten Röcheln begleitet.
»Geht es Ihnen besser?«, fragte Jewgeni, und noch während er es sagte, wurde ihm bewusst, wie dumm die Frage war.
Starik nickte, murmelte aber Nein. »Das Leben ist eine Qual … seit sie mir rund um die Uhr dieses französische Medikament geben, habe ich keinen Appetit mehr … kann nicht essen … vom Essensgeruch wird mir übel.«
»Ich spreche mit dem Direktor –«
»Das ist nicht das Schlimmste.« Zwischen den Sätzen stieg ein widerwärtiges Gurgeln aus Stariks Kehle. »Erwachsene Frauen waschen mich … rasieren mich … wechseln mir die Windeln … wischen mir den Hintern ab … Frauen, die einmal im Monat baden und menstruieren … ihre Körpergerüche sind unerträglich.« Eine Träne quoll aus einem seiner blutunterlaufenen Augen. »Die Nachtschwester ist eine shid … sie nennt sich … Abramowna … Ach, wo … wo sind bloß meine Mädchen hin?«
»Man hat sie ins Waisenhaus gebracht, als Sie krank wurden.«
Starik umklammerte Jewgenis Handgelenk und neigte sich seinem Besucher zu. »Ist der Kalte Krieg noch im Gange?«
»Er nähert sich seinem Ende«, sagte Jewgeni.
»Wer wird als Sieger hervorgehen?«
»In den Geschichtsbüchern wird stehen, dass der Hauptgegner,
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