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Die Company

Die Company

Titel: Die Company Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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grasbewachsenen Weg entlang zum Landhaus seines Vaters. Als sie näher kamen, hörten sie durch den Wald Musik und Gelächter. Etwa zwei Dutzend Männer und Frauen schauten auf dem Rasen einem jungen Mann zu, der auf einer kleinen Handharmonika spielte. Auf einem langen Tisch drängten sich Flaschen mit armenischem Weinbrand und seltenem alten Wodka, genannt starka. Frauen in langen Bauernröcken und weißen Schürzen darüber reichten Teller mit Kartoffelsalat und kaltem Hühnchen herum. An einem Hähnchenschenkel kauend, schlenderte Jewgeni zur Rückseite der Datscha und entdeckte seinen Vater, der mit nacktem Oberkörper auf einem Milchschemel im Geräteschuppen saß. Ein alter Mann mit verhärmtem Gesicht drückte Tsipin die Öffnung einer mit Bienen gefüllten Flasche auf die Haut. »Die Bauern sagen, Bienenstiche sind gut gegen Rheuma«, sagte Tsipin zu seinem Sohn und fügte, vor Schmerzen zusammenzuckend, als die Bienen ihren Stachel in ihn bohrten, hinzu: »Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt, Jewgeni? Du warst ja wie vom Erdboden verschwunden.«
    »Dein Freund Pascha Semjonowitsch hat mich gebeten, amerikanische Zeitungsartikel und den Kongressbericht ins Russische zu übersetzen«, erwiderte Jewgeni, getreu der Tarngeschichte, die Starik sich für ihn ausgedacht hatte.
    »Wenn du in der Partei wärst«, sagte sein Vater seufzend, »hätten sie wichtigere Arbeit für dich.« Er schnappte nach Luft, als er wieder gestochen wurde. »Es reicht, Dimitri«, sagte er zu dem Bauern. »Ich glaube langsam, Rheuma ist mir lieber.«
    Der alte Mann drehte den Verschluss auf die Flasche, tippte an seinen Hut und ging. Jewgeni rieb seinem Vater die roten Haut-Schwellungen am knochigen Hals und auf den Schultern mit einer schmerzlindernden Salbe ein. »Selbst als Parteimitglied würde ich in deiner Welt nicht weit kommen«, sagte Jewgeni. »Du musst schizophren sein, um zwei Leben zu leben.«
    Sein Vater sah ihn über die Schulter an. »Wieso sagst du, meine Welt?«
    Jewgeni betrachtete seinen Vater mit großen, arglosen Augen.
    »Ich habe immer gedacht –«
    »Du solltest aufhören, so viel zu denken, vor allem, wenn es um Verbindungen zu unseren Tschekisten geht.«
     
    Am späten Nachmittag zeigte der unablässige Alkoholkonsum der Gäste endlich Wirkung, und sie lagen auf Sofas oder dösten in Liegestühlen im Garten. Starik war mit Tsipin in der Datscha verschwunden. Jewgeni saß gegen einen Baum gelehnt im Gras und genoss die Wärme der Sonnenstrahlen, die durch das Laubdach über seinem Kopf drangen, als sein Blick auf eine barfüßige junge Frau fiel, die sich mit einem älteren Mann unterhielt. Kurz darauf legte der Mann, der Jewgeni irgendwie bekannt vorkam, einen Arm um die Taille der Frau, und die beiden spazierten in den Wald. Eine Zeit lang sah Jewgeni die Frau und ihren Begleiter immer wieder flüchtig zwischen den Bäumen, ins Gespräch vertieft. Er trank seinen Weinbrand und schloss die Augen, um ihnen ein paar Minuten Erholung zu gönnen. Er wurde ruckartig wach, als er spürte, dass jemand zwischen ihn und die Sonne getreten war. Eine klangvolle Stimme sagte: »Eigentlich mag ich den Sommer nicht besonders.«
    Jewgeni blickte auf zwei höchst wohlgeformte nackte Füße. Er grüßte sie respektvoll. »Wie kann denn jemand, der noch ganz bei Trost ist, ernsthaft was gegen den Sommer haben?«
    »Weil er viel zu kurz ist. Weil unser arktischer Winter schon wieder angefangen hat, ehe unsere Haut genügend Sonnenschein abbekommen hat. Entschuldige, wenn ich dich geweckt habe.«
    Jewgeni blinzelte, um die Schläfrigkeit zu vertreiben, und allmählich sah er die junge Frau deutlicher. Sie war Anfang bis Mitte zwanzig und bestimmt eins achtundsiebzig groß. Zwei übergroße Sandalen baumelten an einem Zeigefinger, ein kleiner Stoffrucksack hing über ihrer Schulter. Sie hatte eine leicht schiefe, aber ansonsten durchaus ansehnliche Nase, eine Lücke zwischen den Schneidezähnen, schwache Sorgenfalten in den Augen- und Mundwinkeln. Ihr Haar war kurz, glatt und dunkel und ordentlich hinter die Ohren gestreift.
    »Mein Name ist Asalia Isanowa. Aber man nennt mich auch Asa«, sagte sie. »Ich arbeite als Historikerin und übersetze nebenbei zum Vergnügen englischsprachige Bücher, die mich interessieren. Ich habe alles von Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald gelesen – zurzeit übersetze ich einen Roman mit dem Titel For Whom the Bell Tolls. Kennst du den zufällig? Wie ich höre, warst du auf einer

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