Die Company
einen Mann, den sie lediglich als »Professor« bezeichnete. In der Berliner Basis ließ Jack das Stück Seide fotografieren und übersetzen. Als er Torriti die Nachricht von Lilis Professor (dem sie inzwischen den Codenamen SNIPER gegeben hatten) zeigte, öffnete der Zauberer eine Flasche Champagner: Lili hatte ihnen eine detaillierte Zusammenfassung einer ostdeutschen Kabinettssitzung, Abschriften von Nachrichten zwischen der ostdeutschen Regierung und der sowjetischen Militärführung in Berlin sowie eine Liste von KGB-Offizieren, die in Karlshorst arbeiteten, geliefert. Seit sechs Monaten hatte Torriti Kontakt mit einem ostdeutschen Agenten, Codename MELODY, der im sowjetischen Büro für Frachtlieferungen zwischen Moskau und Berlin arbeitete. Anhand der Frachtbriefe hatte ME-LODY die richtigen Namen von zahlreichen Offizieren und Mitarbeitern in Karlshorst identifizieren können. Der Vergleich der von Lili gelieferten Namen mit den von MELODY identifizierten ergab, dass Lilis Professor echt war.
»Wer zum Teufel ist sie eigentlich, Kumpel?«, hatte Torriti wissen wollen, als Jack nach dem zweiten Treffen wieder mit einem Stück eng beschriebener Seide zurückkam. »Und was noch wichtiger ist, wer zum Teufel ist ihr gottverdammter Professor?«
»Sie hat gesagt, wenn ich versuche das herauszufinden, wird die Quelle versiegen«, hatte Jack Torriti ins Gedächtnis zurückgerufen. »Nach dem, was sie über ihn erzählt, scheint er ein Wissenschaftler zu sein. Auf meine Frage, was die Kommunisten in Ostdeutschland falsch machen, hat sie den Professor zitiert, der wiederum Albert Einstein zitierte – irgendwas von Perfektion der Mittel und Verwirrung der Ziele, die unsere Zeit charakterisieren. Außerdem spricht sie betont förmlich von ihm, wie man von einem sehr viel älteren Menschen spricht. Ich habe das Gefühl, er könnte ihr Vater oder Onkel sein. Jedenfalls hat er einen Draht nach ganz oben.«
»Hört sich eher nach einem Liebhaber an«, hatte Torriti geknurrt. »Sex und Spionage gehen oft Hand in Hand.« Der Zauberer hatte eine leere Whiskeyflasche weggeworfen und aus dem offenen Safe eine neue hervorgefischt. Er hatte sich einen ordentlichen Drink eingeschüttet, etwas Wasser hinzugegeben, mit dem Mittelfinger umgerührt und den Finger säuberlich abgeleckt, bevor er das halbe Glas in einem Zug leerte. »Hör zu, Kumpel, ein altes russisches Sprichwort sagt, man soll den Bären waschen, ohne sein Fell nass zu machen. Genau das solltest du mit RAINBOW tun.«
Getreu dem Sprichwort hatte Jack eine minuziöse Überwachung organisiert, um herauszufinden, wo RAINBOW in Ostberlin wohnte und wer sie war. War ihre Identität erst festgestellt, wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie wussten, wer SNIPER war. Sollte sich der Professor als Kommunist in einer Führungsposition entpuppen, müsste ü berlegt werden, wie er kreativer zu nutzen wäre; er könnte gezwungen werden (unter Androhung, ihn oder seine Kurierin auffliegen zu lassen), Falschinformationen dort einzuschleusen, wo sie den größten Schaden anrichteten. Und falls er tatsächlich der regierenden Elite in der sowjetischen Zone angehörte, wäre es vielleicht möglich, die wenigen Personen über ihm zu diskreditieren oder zu eliminieren und SNIPER ganz an die Spitze zu befördern.
Der Zauberer hatte Jack für die Überwachung die beiden Silvans und eine Hand voll weiterer Beobachter zur Verfügung gestellt. Nach jedem Treffen mit Jack sollte RAINBOW schrittweise in einem immer größeren Radius auf ihrem Weg nach Ostberlin verfolgt werden.
Am ersten Abend der Operation, nach Jacks drittem Treffen mit RAINBOW, hatte Silvan II beobachtet, wie Lili sich in einem der teuren Läden auf dem Kurfürstendamm ein Paar hauchdünne Nylonstrümpfe kaufte, und war ihr dann zu der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gefolgt; Silvan I, mit seinem Hund an der Leine, hatte von da übernommen und sie bis zum Potsdamer Platz beschattet, wo er sie im Menschengedränge aus den Augen verlor. Zuletzt wurde sie an der Ostsektorengrenze gesichtet, als sie den kommunistisch kontrollierten Teil der Stadt betrat. Am zweiten Abend war die Verfolgung unter den Linden zu Ende. Als Jack sich das sechste Mal mit RAINBOW in dem kleinen, schmuddeligen Studio traf, übergab Lili ihm das noch hautwarme Stück Seide und streckte ihm dann die Hand entgegen. »Sie haben mir noch gar nicht Ihren Namen verraten«, sagte sie.
»Ich heiße Jack«, erwiderte er und nahm ihre
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