Die Company
das Rätsel lösen, nur so konnte er den Russen rächen, der ihm vertraut hatte und seinetwegen ums Leben gekommen war. Wie besessen machte er sich an die mühselige Arbeit, den Ablauf der missglückten Exfiltration wieder aufzurollen.
Angefangen hatte es damit, dass der israelische Mossad-Agent in Westberlin aus Ostberlin eine »Schwingung« (sein Kürzel für eventuelle Exfiltration) aufgefangen und sofort Angleton verständigt hatte. Der Israeli, der wegen seines struppigen Drahthaarbartes und seiner wuchernden Koteletten Rabbi genannt wurde, war Anfang vierzig und trug eine dicke Brille, die seine ohnehin schon hervorquellenden Augen noch größer erscheinen ließen. Seine Kleidung, so wurde in der Branche vermutet, war eine Art Mossad-Uniform, denn keiner erinnerte sich, ihn je in etwas anderem gesehen zu haben: ein weiter schwarzer Anzug, an dem die zizit unter dem Saum der Jacke baumelten, ein weißes Hemd ohne Krawatte, der Stehkragen zugeknöpft, ein schwarzer Filzhut (auch in geschlossenen Räumen, weil er Angst vor Zugluft hatte) und Basketballschuhe. »Du siehst vor dir einen leidenden Mann«, gestand der Rabbi, sobald Torriti erfolgreich seine Leibesfülle auf einen der wackeligen Holzstühle gesenkt hatte, die aufgereiht an der Wand von Ezra Ben Ezras stickigem Sanktuarium im französischen Sektor von Berlin standen.
»Versuch’s mal mit Natriumbikarbonat«, riet ihm der Zauberer. Er wusste aus Erfahrung, dass ohne ein bisschen Smalltalk nicht daran zu denken war, zur Sache zu kommen.
»Ich leide nicht physisch, sondern psychisch. Und zwar wegen des Rosenberg-Prozesses, der heute Morgen in New York begonnen hat. Wenn der Richter ein goj wäre, kämen Julius und Ethel mit zwanzig Jahren davon und wären in zehn wieder draußen. Aber denke an meine Worte, Harvey: Die beiden landen auf dem elektrischen Stuhl, weil der Bundesrichter ein Juden hassender Jude namens Kaufman ist.«
»Sie haben die Pläne für die Atombombe gestohlen, Ezra.«
»Sie haben den Russen ein paar grobe Skizzen geliefert.«
»Es gibt Leute, die der Ansicht sind, dass die Nordkoreaner niemals in den Süden einmarschiert wären, wenn die Russen nicht mit der Atombombe hinter ihnen gestanden hätten.«
»Blödsinn, Harvey! Die Nordkoreaner sind in den Süden einmarschiert, weil das kommunistische China mit seinen sechshundert Millionen Seelen hinter ihnen steht, nicht eine zusammengepfuschte russische Atombombe, die vielleicht schon hochgeht, während der Bomber noch die Startbahn runterklappert.«
Der Rabbi hielt jäh inne, als ein junger Mann mit rasierten Augenbrauen ein Tablett hereintrug, auf dem zwei dampfende Tassen Kräutertee standen. Ohne ein Wort machte er auf dem chaotischen Schreibtisch des Rabbi ein wenig Platz, stellte das Tablett ab und verschwand wieder.
Torriti nickte ihm nach. »Der ist neu.«
»Hamlet – so heißt er wirklich, ob du’s glaubst oder nicht – ist Georgier und ein Schabbat-goj, wie er begabter nicht sein könnte. In meiner Position als Vertreter des Staates Israel, wenn auch geheimer Vertreter, wird nun mal von mir erwartet, dass ich den Schabbat achte, also macht Hamlet samstags für mich das Licht an und geht ans Telefon und bringt Leute um. Aber was verschafft mir das Vergnügen, Harvey?«
»Du warst es, der von Wischnewskis Exfiltration Wind bekommen und Angleton informiert hat, stimmt’s?«
»› Datta. Dayadhvam. Damyata. Diese Scherben hab ich gestrandet, meine Trümmer zu stützen.‹ Ein Zitat aus Das wüste Land von dem großen Dichter und kleinen Antisemiten Thomas Stearns Eliot. Die Company ist mir noch was schuldig.«
»Die Exfiltration ist schief gegangen. Es hat eine undichte Stelle gegeben, Ezra.«
Der Rabbi sog seine Wangen ein. »Glaubst du?«
»Ich weiß es. Ist es möglich, dass einer von deinen Schabbatgojs nebenbei für den Gegner arbeitet?«
»Alle hier haben ihre Feuerprobe hinter sich, Harvey. Hamlet hat an der rechten Hand keine Fi ngernägel mehr; sie wurden ihm von KGB-Zangen gezogen, als er sich weigerte, die Namen von Antistalinisten in Georgien zu nennen. Wenn es hier eine Schwachstelle gäbe, wäre ich nicht hier, um dir zu garantieren, dass es keine gibt. Mein Laden ist klein, aber effizient. Ich tausche oder verkaufe Informationen, ich verfolge Nazi-Raketenspezialisten, die in Ägypten oder Syrien untertauchen, ich fälsche Pässe und schmuggle Juden nach Israel. Wenn es eine undichte Stelle gegeben hat, dann ist sie irgendwo zwischen Mother und dir
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