Die Company
könnten ein Liebespaar werden«, raunte Jack.
»In gewisser Weise sind wir das doch schon«, entgegnete Lili.
»Ich will dich.«
»Du hast so viel von mir, wie ich dir geben kann.«
»Ich will mehr. Ich will mit dir schlafen.«
»Ich sage es dir in aller Deutlichkeit – das wird nicht passieren.«
»Wegen des Professors?«
»Er hat mir am Ende des Krieges das Leben gerettet. Ich wurde von einer Horde Russen vergewaltigt. Ich wollte mich in die Spree stürzen. Der Professor hat es verhindert … er hat die ganze Nacht mit mir geredet … von einem anderen Deutschland erzählt … von Thomas Mann, Rilke … im Morgengrauen hat er mich mit aufs Dach des Hauses genommen, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Er hat mir klar gemacht, dass das der erste Tag meines restlichen Lebens war. Ich will dir nichts vormachen, Jack … du bist mir nicht gleichgültig. Ich sage nur, dass ich ihm Treue schulde. Auch sexuelle Treue.«
Lili schlüpfte in einen Rock und zog ihre Gymnastikhose darunter aus. Sie faltete sie zusammen, steckte sie in ihre Ledertasche und wollte das Licht im Saal ausschalten. »Ich muss zurück.«
Jack fasste sie an der Schulter. »Er bringt dich in Gefahr.«
Lili entzog sich ihm. »Das ist unfair. Nur weil er manche Dinge für wichtiger hält, bedeutet das nicht, dass er mich weniger braucht.«
»Ich brauche dich mehr.«
»Nicht so wie er mich. Ohne mich –« Sie blickte weg, mit plötzlich versteinerter Miene.
»Red weiter, verdammt noch mal – ohne dich, was?«
»Ohne mich kann er nicht weiterleben. Aber du kannst es.«
»Würdest du das bitte näher erklären?«
»Nein.«
»Das bist du mir schuldig.«
»Ihm bin ich noch mehr schuldig. Bitte, lass mich jetzt gehen, Jack.«
Jack nickte finster. »Kommst du am Freitag?«
»Ja. Verlass bitte vor mir das Studio. Wir dürfen nicht zusammen gesehen werden.«
Jack legte ihr eine Hand in den Nacken und zog sie an sich. Einen Moment lang ließ sie die Stirn an seiner Schulter liegen. Dann trat sie zurück, schaltete das Licht aus, öffnete die Tür und wartete oben an der Treppe, während er hinunterging.
Er sah sich noch einmal um. Im Dunkel des Treppenhauses war Lili schon nicht mehr zu sehen.
»Tu mir einen Gefallen, Kumpel«, hatte der Zauberer so beiläufig gesagt, als hätte er Jack bitten wollen, für ihn Eiswürfel aus dem Kühlschrank zu holen. »Bring in der Wohnung von SNIPER eine Wanze an.«
Das war leichter gesagt als getan, wie sich herausstellte. Jack hatte das Haus, in dem der Professor mit Lili wohnte, rund um die Uhr beobachten lassen. Nach zehn Tagen hatten sie genau erkundet, wann die beiden nicht in der Wohnung waren. Als stellvertretender Ministerpräsident war der Professor vormittags in seinem Büro und hielt nachmittags an der Humboldt-Universität Seminare ab. Sechsmal in der Woche fuhr Lili mit der U-Bahn zum Alexanderplatz, wo sie in einer der letzten Privatschulen des sowjetischen Sektors klassischen Tanz unterrichtete; an drei Nachmittagen in der Woche nahm sie in einem fensterlosen Proberaum des Maxim-Gorki-Theaters selbst Unterricht bei einer verkrüppelten russischen Tänzerin, die vor dem Krieg im Ensemble des Kirow-Balletts gewesen war. Aber auch wenn RAINBOW und SNIPER beide nicht zu Hause waren, gab es noch eine Hürde zu überwinden: die Hausmeisterin, die im Erdgeschoss wohnte, eine alte, an Arthritis leidende Frau, die meistens am Fenster saß und auf die verlassene Straße blickte.
Jack hatte Torriti das Problem unterbreitet. Wie konnte die Hausmeisterin lange genug aus dem Haus gelockt werden, um in die Wohnung einzudringen und eine Wanze anzubringen?
Torriti, der mit den Adressaten seines »Kontrastbreis« beschäftigt war, hatte aufgestöhnt. Seine Augen waren noch verquollener als sonst.
»Wie wär’s mit umbringen?«, hatte er gesagt.
Einen Moment lang hatte Jack ihn ernst genommen. »Wir können sie doch nicht einfach umbringen, Harvey – wir sind schließlich die Guten.«
»Das sollte ein Witz sein, Kumpel. Schenk ihr doch eine Eintrittskarte für irgendeinen Vergnügungsnachmittag der Kommunistischen Partei.«
»Sie ist alt. Und sie kann kaum noch gehen.«
Torriti hatte ungeduldig den Kopf geschüttelt. »Ich hab selbst genug Probleme«, hatte er geknurrt. »Lass dir verdammt noch mal was einfallen.«
Nach einer Woche hatte Jack die rettende Idee. Eines Morgens, sobald der Professor und Lili die Wohnung verlassen hatten, war vor dem Haus ein ostdeutscher Krankenwagen mit zwei
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