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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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oder Stände für Fisch oder Gemüse drängten.
    »Alles im Überfluss vorhanden«, bemerkte Severin mit großen Augen. »Wie bei uns nur zu Festtagen.«
    Ein paar junge Mägde kreuzten ihren Weg und warfen ihnen neugierige Blicke zu. Severin sah sich nach ihnen um und fuhr sich dabei mit einer Hand über das dunkelblonde Haar, um es zu glätten. Vergebliche Müh, denn es war nicht zu bändigen und stand wie immer sperrig in alle Richtungen ab.
    Sie hielten einen Augenblick an, um den Eselskarren eines Bauern durchzulassen, der mit übelriechenden Kübeln beladen war, verfolgt von einem Schwarm grünblau glänzender Schmeißfliegen. Sorgfältig gesammelte Küchenabfälle für die Schweine und Fäkalien für das Feld, denn was des Städters Last, ist des Landmanns Nutzen.
    Überhaupt waren sie unvorbereitet für all die Gerüche, die die Sinne bestürmten. Und die stammten nicht allein von Hundekot, Urin oder dem Pferdemist, über den sie stiegen. Je nach Stadtteil und dem dort ansässigen Handwerk wechselten sich der Gestank der Gerberwerkstätten mit dem Verwesungsgeruch von Schlachtabfällen und den verführerischen Düften aus Schenken und Backstuben ab.
    Je mehr sie sich dem Stadtkern näherten, desto belebter wurde die Straße, wobei die meisten Leute ebenfalls dem großen Marktplatz zuzustreben schienen.
    Als ein Junge sich hastig an ihnen vorbeidrängte, hielt Arnaut ihn am Arm fest. »He,
mon gartz,
wohin laufen alle so eilig?«
    Der Kleine wollte sich losreißen, aber nach einem flinken Blick über die Ausrüstung und die wertvollen Reittiere der beiden flog ein schlaues Grinsen über sein Gesicht.
    »Ihr seid nicht von hier, feiner Herr, hab ich recht?«
    »Woher willst du das wissen, Bengel?«, lachte Arnaut. »Steht es mir etwa auf der Stirn geschrieben? Und wozu das Gedränge der Leute?«
    »Das weiß doch alle Welt. Heute ist die Heiligenprozession, und der Erzbischof selbst trägt die Reliquien durch die Straßen.«
    »Welcher Heilige?«
    »Sant Paul Serge.«
    »Sind deshalb so viele Pilger und Bettler in der Stadt?«
    »Glaub schon.« Der Junge zuckte gleichmütig mit den Achseln.
    »Wir wollen zum Palast des Grafen Alfons.«
    »Der ist nicht weit,
Senher.
Ich kann Euch den Weg weisen …«, er setzte ein hoffnungsvolles Grinsen auf, »… wenn Ihr mir etwas dafür gebt.«
    Bezahlen? Für einen Hinweis? Arnaut machte ein verdutztes Gesicht. Waren das die Sitten in der Stadt?
    »Wie alt bist du?«
    »Weiß nicht. Zwölf, glaube ich.«
    Nicht sehr groß für zwölf, dachte Arnaut. Weiße Zähne in einem sonnengebräunten Gesicht und darüber ein zerzauster, schwarzer Haarschopf, nicht sehr sauber, wie es schien. Am besten gefielen ihm das freche Lächeln und die aufgeweckten Augen.
    »Und wie heißt du?«
    »Jori,
Senher.
«
    Arnaut zwinkerte seinem Schildträger zu, als sei ihm gerade ein guter Einfall gekommen. Severin, ein junger Mann von einfachen, gradlinigen Grundsätzen, hatte ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Leuten, die nicht ihren ordentlichen Platz im Leben ausfüllten. Für Bettelpack und arbeitsscheue Herumtreiber hatte er wenig Verständnis.
    »Was willst du mit dem zerlumpten Burschen?«
    Jori zog ein finsteres Gesicht. »Nicht jeder wird als großer Herr geboren«, erwiderte er frech.
    Zerlumpt war der Junge tatsächlich, ziemlich ausgemergelt dazu, und er lief barfuß herum trotz der Jahreszeit. Die Oktobernächte waren schon empfindlich kalt, wie Arnaut wusste. Sie hatten die letzte Nacht im Freien verbracht und unter ihren Pferdedecken gefroren.
    »Ich wette, du kennst dich hier überall aus.«
    »Das will ich meinen.« Im Gesicht des Jungen leuchtete die Hoffnung, an den beiden Fremden doch noch etwas zu verdienen. »Ich kann Euch alles zeigen und erklären. Wollt Ihr die Kathedrale sehen?«
    »Hör zu, Kleiner«, sagte Arnaut. »In den nächsten Tagen zeigst du uns die Stadt, und dafür teilen wir unser Essen mit dir. Und morgen besorgen wir dir ein paar vernünftige Schuhe. Was sagst du dazu?«
    Jori runzelte die Stirn. »Ein
denier
wäre mir lieber.«
    »Einen ganzen Silberpfennig?«, schnaubte Severin entrüstet.
    Aber Arnaut achtete nicht auf ihn. »Also gut. Ein halber
denier
obendrein. Aber erst am Schluss und nur, wenn wir mit dir zufrieden sind.«
    Jori grinste über beide Ohren. »Ihr werdet sehr zufrieden sein,
mon Cavalier
«, rief er strahlend. »Kommt, ich führe Euch zum Palast des Grafen.«
    Auf dem Marktplatz fanden sie eine überwältigende Menschenmenge vor.

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