Die Comtessa
Einzige, denn die Menge war plötzlich wütend geworden. Die Rücksichtslosigkeit der Soldaten hatte sie gereizt, vielleicht weil sie seit langem solch tägliche Erniedrigungen hatten schlucken müssen. Zotige Gesten und geballte Fäuste, Pfiffe und Gejohle erfüllten den Platz. Einzelne Spottrufe verdichteten sich zu skandierten Hasstiraden, die aus tausend Kehlen drangen. Arnaut erschrak, denn so etwas hatte er noch nicht erlebt. Die Menschenmasse schien sich in eine bedrohliche Bestie zu verwandeln. Gleich würden sie die Handvoll Soldaten überrennen und in Stücke reißen.
Die
pezos
jedoch schien dies nicht weiter zu beunruhigen. Sie richteten ihre Speere auf die Vordersten, die vor dem blanken Stahl zurückwichen. Ein Kind kreischte, als es unter die Füße der Nächststehenden geriet. Ein alter Mann, der nicht schnell genug zurückwich, bekam eine Speerspitze in die Brust. Blutend brach er in die Knie.
Nun war der Platz in Aufruhr, die Menge brüllte auf wie ein getroffener Stier, Frauen kreischten. Erzbischof Leveson zerrte den
capitan
am Arm, schrie ihn zornig an. Was er sagte, ließ sich im Lärm nicht verstehen. Und dann geriet die Lage völlig außer Kontrolle, denn auf einmal flogen Steine aus den hinteren Rängen. Ein Soldat wurde im Gesicht getroffen und ging zu Boden. Weitere Steine donnerten wie Hammerschläge auf die Schilde der
pezos.
Die Söldner wichen zurück und rückten enger zusammen.
Besorgt sah Arnaut zu Ermengarda hinüber. Als habe sie es gespürt, warf auch sie ihm einen kurzen Blick zu. Angst stand in ihren Augen. Er war drauf und dran, sich durch das Heer der Leiber zu zwängen, um sie vor der Menge zu schützen, als ein junger Edelmann an ihrer Seite sich mit gezogenem Schwert vor sie stellte. Zu Arnauts Erleichterung hatten jetzt auch die Männer der
militia urbana
ihre Schilde gehoben und umringten die Grafenfamilie.
Plötzlich, wie um alles nur noch schlimmer zu machen, tauchten Berittene aus einer Seitengasse auf, auch sie in den Farben Tolosas. Es waren gepanzerte Reiter mit langen Lanzen, die sie auf die Steigbügel abgestützt in den Fäusten hielten. Sie sahen müde aus, wie nach langem Ritt, und schienen völlig überrascht vom Tumult auf dem Marktplatz.
Als sie ihre Kameraden von der Menge bedrängt sahen, zögerten sie nicht und ritten ihre Schlachtrösser rücksichtslos in die Massen, stachen mit Lanzen um sich und trieben die Menschen in Furcht vor sich her. Ein gewaltiger Aufschrei hallte über den Platz, Panik griff um sich. Wer konnte, rannte in die nächsten Gassen. In Windeseile leerte sich der Platz, manche wurden von den Reitern verfolgt und niedergestochen. Eine Frau geriet unter die Hufe, ein Bauer brach mit durchstoßener Kehle zusammen, und noch viele mehr wurden Opfer der Reiter und
pezos,
die den Flüchtenden nachsetzten.
Langsam kehrte eine unheilschwangere Ruhe ein.
Die verbliebenen Menschen, die es nicht geschafft hatten, in eine der Gassen zu flüchten, drückten sich furchtsam an den Rand des Platzes und wagten kaum zu atmen. Frauen klammerten sich aneinander, ängstlich auf die Söldner starrend, die jetzt gleichmütig ihr Werk betrachteten oder um sich blickten, als erwarteten sie, ja hofften fast auf mehr Widerstand.
Viele Verwundete oder Tote, so genau ließ es sich nicht gleich erkennen, lagen auf dem Boden. Überall war Blut, das in die Ritzen zwischen den Pflastersteinen sickerte. Die Lade des Heiligen war von den Schultern der Mönche gestürzt und des Erzbischofs seidener Baldachin lag zwischen verfaulten Rüben und altem Pferdedreck.
Mossenher
Leveson trug einen Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht, und auch die
vescomtessa
stand wie erstarrt, die Hand über dem Mund.
In die lähmende Furcht, die jetzt auf dem Marktplatz herrschte, ritt langsam ein einzelner Mann auf einem prächtigen Schlachtross.
Maistre
Bernats Flüstern war voller Hass.
»Der Graf von Tolosa.«
***
Der unerwartete Aufruhr hatte fünf Tote und viele Verletzte gekostet. Darunter ein Kind und ein ältlicher Pilger, von dem niemand wusste, woher er gekommen war. Auch die Frau, die unter die Hufe geraten war, hatte ihr Leben verloren. Sie war schwanger gewesen.
Bange Stille senkte sich über die Stadt, nur unterbrochen vom Klang der genagelten Stiefelsohlen der Söldner, die nun verstärkt ihre Runden gingen. Kaum jemand traute sich noch in die Gassen, obwohl man überall das erregte Raunen und Flüstern ahnen konnte, das die ganze Stadt erfasst hatte.
Arnaut
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