Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
Vom Netzwerk:
und Severin brauchten eine Weile, um sich von dem Erlebten zu beruhigen, denn trotz ihrer kriegerischen Ausbildung hatten sie noch keine Erfahrung im Blutvergießen. Die kalte Brutalität, mit der unbewaffnete Menschen niedergemacht worden waren, hatte sie in ihrem Innersten erzittern lassen. Der Wunsch, am Palast des Grafen vorzusprechen, war ihnen fürs Erste vergangen. Schweigend ließen sie sich von dem Gassenjungen Jori zu einer Herberge am Fluss außerhalb der Mauern führen. Dort schenkten sie ihm den Rest ihrer Reisezehrung und nahmen ihm das Versprechen ab, am nächsten Morgen wiederzukommen.
    Hier am Fluss war ein Vorort namens Vila Nova entstanden. Es war, als ob die Stadt ausgeufert wäre, als müsse das Häusermeer die Mauern sprengen und sich in die Ebene entlang des Flusses ergießen. Die Hütten sahen schmuddelig und ärmlich aus, meist Behausungen von Fischern und Hafenarbeitern. Die Herberge lag an einer Stelle, wo man den Fluss vertieft und einen langen hölzernen Kai auf Pfählen errichtet hatte, der sich las Naus nannte, nach den Lastkähnen, die täglich zum Hafen von Gruissan hinausfuhren oder zu Schiffen, die in der Lagune ankerten.
    Das
alberc
sah heruntergekommen aus, der Schankraum gefüllt mit Seeleuten und Lastenträgern. Aber zumindest fanden sie hier für wenig Geld einen Stall für die Pferde und eine bescheidene Schlafkammer, auch wenn sie den grobgezimmerten Strohkasten würden teilen müssen, der als Bett dienen sollte. Nachdem sie Sättel und Habseligkeiten in die Kammer geschleppt hatten, war kaum eine Handbreit Platz zum Stehen übrig. Sie entledigten sich ihrer Rüstungen und hockten sich später in eine Ecke des Schankraums, um das freudlose Mahl herunterzuschlingen, das die schlampig wirkende Wirtin ihnen auf den Tisch stellte.
    In dieser Spelunke war man an das Kommen und Gehen von Fremden gewöhnt, niemand schenkte ihnen Beachtung. Umso besser, dachte Arnaut, immer noch fassungslos nach dem Erlebten, denn vorerst war ihm nicht nach Gesellschaft zumute. Auch Severin schien es nicht besser zu gehen, nach der düsteren Miene zu urteilen, mit der er sein Mahl verzehrt hatte.
    »Einen Speer durch die Kehle«, sagte er tonlos. »Nicht älter als meine Schwester Maria, höchstens acht oder neun.« Seine Augen waren feucht geworden.
    »Es ging alles so schnell.«
    »Dein Onkel würde den Schuldigen am nächsten Baum aufhängen.«
    Arnaut nickte. Sein Onkel Raol, der daheim seit einiger Zeit die Geschicke der
familia
lenkte, war in der Tat ein strenger Herr. Gerecht, aber nicht sehr geduldig mit Missetätern. Arnaut dachte an das, was sein Großvater ihm eingebleut hatte, dass ein
cavalier,
der dieses Titels würdig sein will, Verantwortung für die Gemeinschaft trüge, vor allem für die Kirche, für Frauen und Schwächere, dass es für das Privileg der adeligen Geburt einen Preis zu zahlen gebe, nämlich sich in den Dienst einer höheren Sache zu stellen. Beide, Großvater und Onkel, hatten im Heiligen Land gedient, eine Tatsache, auf die Arnaut ungemein stolz war. Aber was sie heute gesehen hatten, entsprach nicht diesem Bild eines
cavaliers.
    »Bestimmt sind die Soldaten genauso erschrocken wie wir«, sagte er. »So etwas kann niemand gewollt haben. Am wenigsten der Graf.«
    »Bist du immer noch sicher, du willst
Coms
Alfons dienen?«
    »Wem sonst? Er ist unser Lehnsherr!«
    »Rocafort ist ein freies Lehen und schuldet niemandem Kriegsdienst.«
    »Das ist wahr. Aber warum sind wir sonst gekommen?«
    »Jedenfalls nicht, um Kinder abzustechen!«
    Arnaut ließ den Kopf hängen. Ein fröhliches Leben hatte es werden sollen. Sie wollten die Welt sehen, sich als Kämpfer für die Gerechtigkeit einen Namen machen, Abenteuer erleben. Vielleicht sogar das Herz einer edlen
donzela
erobern. Jedenfalls ein anderes Dasein als das auf dem langweiligen Lehnssitz Rocafort, wo nie etwas Aufregendes geschah. Arnaut hatte nichts sehnlicher erhofft, als in die ehrenvolle Gemeinschaft der Ritter des Grafen von Tolosa aufgenommen zu werden, des größten und reichsten Fürsten des Landes. Doch wo war die Ehre im Töten von Kindern und schwangeren Weibern?
    Er warf den Löffel auf den Tisch.
    »Fürchterlicher Fraß.«
    »Sie hassen ihn hier. Und jetzt werden sie ihn noch mehr hassen. Willst du einem Herrn dienen, den das Volk verachtet?«
    Auch das beunruhigte Arnaut. Die Stadt war wie ein wütend aufgestacheltes Wespennest, das Wappen von Tolosa für viele ein rotes Tuch. Wie hatte es so weit kommen

Weitere Kostenlose Bücher