Die Comtessa
Da waren Handwerker in rauhen Arbeitskleidern, Bürgerinnen mit Kindern an der Hand, Pilgersleute, die ihre ganze Habe auf dem Rücken trugen, und Bauern aus der Umgebung, die, nach den leeren Kiepen zu urteilen, ihre herbstlichen Feldfrüchte an den Mann gebracht hatten. Händler waren aus den Läden getreten, und ein paar Soldaten der städtischen
militia
lungerten untätig an einer Ecke. Ein Wasserträger zwängte sich durch die Leute, Verkäufer frommer Andenken priesen ihre Ware an, und am anderen Ende des Platzes bemühte sich eine Gauklertruppe, die Leute zu unterhalten.
Zum Glück hatte man die Marktstände weggeräumt, denn immer noch strömten sie aus allen Gassen hinzu. In der Mitte des Platzes, wo das Meer der Köpfe am dichtesten wogte, versuchte eine Schar Tolosaner Soldaten, etwas Platz zu schaffen. Es war so laut, dass man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte.
An ein Durchkommen mit den Pferden war nicht zu denken. Das Gedränge und der Lärm machten die Tiere scheu. Bald waren Arnaut und Severin von der Masse so eingekeilt, dass sie weder vor- noch rückwärts konnten. Dicht an eines der Häuser gedrängt, blieb ihnen nichts weiter übrig, als die Tiere ruhig zu halten und darauf zu warten, dass die Prozession bald vorüberziehen würde.
»Das reinste Volksfest«, rief Arnaut dem Jungen ins Ohr, um sich verständlich zu machen.
»Hier wird die Andacht abgehalten, bevor sie weiter zur Basilika ziehen. Viele lassen sich hier segnen«, tönte der Kleine zurück.
»
Deable.
Da hätten wir erst morgen kommen sollen.«
Jori zuckte mit den Schultern. »Der Heilige bringt Euch Gottes Segen, Herr. Ein guter Anfang für Eure Tage in Narbona. Vielleicht sogar Ruhm und Ehren.« Er grinste verwegen.
Arnaut schüttelte den Kopf. Frecher Bengel!
Der hüpfte derweil von einem Bein aufs andere und versuchte, über die Köpfe der Menge hinweg etwas zu erkennen. »Sie müssten bald über die Brücke kommen.«
»He, du Wicht«, knurrte ein Handwerksmann, der noch seine Lederschürze trug. »Hör auf, herumzuhopsen. Du trittst mir auf die Zehen!«
»Hier, steig auf den Wallach.«
Arnaut half Jori in den Kampfsattel. Da saß er seitwärts auf dem Ross und verschränkte zufrieden die Arme vor der Brust. »Jetzt können sie kommen«, krähte er vergnügt. »Ich hab die beste Aussicht.«
Arnaut selbst konnte den ganzen Platz recht gut überblicken, denn wie alle Männer auf der mütterlichen Seite seiner Familie war er hochgewachsen und überragte die meisten um Haupteslänge. Auf der gegenüberliegenden Seite war der Platz durch lo Borcs Stadtmauer begrenzt. Durch ein Tor konnte man einen Blick auf die Aude erhaschen, und auf der Brücke war jetzt, die Menge sah es in freudiger Erwartung, Bewegung zu erkennen. Ein Gesang aus Mönchskehlen wehte herüber, und die Ersten begannen, das Kreuz zu schlagen, Lippen bewegten sich in stillem Gebet. Ruhe kehrte ein.
Die Soldaten, an die vierzig Mann und schwerbewaffnet mit Speer und Schild, drängten die Leute zurück, um Platz für den Umzug zu schaffen. Auch den Weg zum Tor bahnten sie frei und gingen dabei wenig zimperlich vor. Die Vordersten wichen vor ihnen zurück, rückten enger zusammen, traten anderen auf die Füße. Es hallten Flüche und wütende Proteste.
Doch gleich darauf brandete ein erwartungsvolles Raunen auf, denn unter dem Torbogen erschien nun die Spitze des feierlichen Umzugs. Zuerst ein einzelner Priester im Mess-gewand, der ein vergoldetes, hoch auf einen Stab gepflanztes Kreuz vor sich hertrug. Hinter ihm schritten zwei Ministranten einher, voran der
turifer,
der ein silbernes Weihrauchfass an langer Kette schwang, und der
navicularius,
der würdevoll das Weihrauchschiffchen trug. Ein weiterer Ministrant trug das kostbare Banner des Heiligen, und dann folgte eine schwere, auf den Schultern von vier Mönchen getragene, mit Blattgold und reichen Schnitzereien verzierte Lade, Gegenstand der Verehrung der Gläubigen. Viele in der Menge sanken auf die Knie und bekreuzigten sich.
Eine Marktfrau beugte sich zu Arnaut herüber. »Die Gebeine des Heiligen«, sagte sie laut genug, um den frommen Gesang der Mönche zu übertönen, die der Lade nachkamen. »Unser erster Bischof. Hat viele Heiden bekehrt.«
Arnaut lächelte freundlich zurück. »Warum halten hier eigentlich Tolosaner die Ordnung und nicht die Stadtmiliz?«
»Weil sie uns schon seit Jahren knebeln«, antwortete der Handwerker zu seiner Linken. »Ganz Narbona dient nur als Geisel für
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