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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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sich auf den Mann, packte den erhobenen Dolcharm und rang mit ihm.
    Sein Gegner war nicht groß, aber zäh, und es kostete ihn einige Mühe, ihm den Dolch zu entreißen. Dann rammte er ihm ohne Zögern den langen Stahl in den Leib, unter das Brustbein, wie er es gelernt hatte, riss gewaltsam die Klinge nach oben, durch Darm und Zwerchfell, stieß noch einmal zu, tief ins Herz.
    Der Mann schrie gellend auf, zerrte wild an seinen Schultern und fiel ihm dann zuckend in die Arme. Arnaut hielt ihn einen Augenblick lang fest. Als er sich nicht mehr regte, ließ er ihn zu Boden gleiten und zog die blutige Klinge aus dem Leib des Toten.
    Ermengarda war weiß geworden.
    »Schnell! Schließ die Tür auf«, flüsterte Arnaut.
    Der Todesschrei des Mannes war gewiss nicht unbemerkt geblieben. Ermengardas Hand zitterte, und es war, als würde ihr es nie gelingen, den Schlüssel ins Schloss zu stecken.
    Aber dann war die Tür auf, Arnaut zerrte den Toten in die Kammer, riss die Decke vom Bett, warf den Leichnam darauf und rollte ihn ein, so dass es aussah, als schlafe jemand. Ermengarda stand da und zitterte immer noch. Sie konnte den Blick nicht von dem Toten wenden.
    »Komm jetzt«, zischte Arnaut.
    »Meine Tasche«, flüsterte sie, suchte mit den Augen nach ihr.
    »Die können wir nicht gebrauchen.«
    Er nahm ihr den Schlüssel ab, zerrte sie mit blutverschmierter Faust aus der Kammer, schloss rasch ab. Sie starrte auf das fremde Blut auf ihrer Hand, wo er sie berührt hatte.
    Als ihr Blick sich hob, sah sie plötzlich in
Domna
Anhes’ Augen.
    Erneut fuhr der Schreck ihr in die Glieder. Die Frau musste den Hauptaufgang heraufgestiegen sein. Jetzt ist alles aus, dachte Ermengarda. Nun wird sie die Wachen rufen. Sie werden Arnaut packen und wegschleppen. Es war alles ihre Schuld. Was hatte sie nur getan?
    Arnaut hielt immer noch den Dolch in der Hand.
Domna
Anhes’ Augen hatten sich geweitet, die Hand fuhr ihr an den offenen Mund. Dann wanderte ihr schreckstarrer Blick zu Ermengarda, und sie erkannte sie sofort, trotz der lächerlichen Verkleidung.
    »O mein Gott …«, stammelte die Frau.
    Im unteren Stockwerk, am Hauptaufgang zu diesem Bereich des Palastes, hörte man schwere Schritte, Waffengeklirr, Stiefel auf der Treppe. Plötzlich schien
Domna
Anhes zu begreifen und erwachte aus ihrer Starre.
    »Die Wachen. Schnell!«
    Sie lief ihnen voraus und machte eine ungeduldige Handbewegung, ihr zu folgen. Arnaut fasste Ermengarda behutsam am Arm und zog sie mit sich. Über die Hintertreppe schlichen sie ein Stockwerk höher bis unters Dach.
Domna
Anhes holte ein Schlüsselbund aus der Rocktasche und schloss eine Tür auf.
    »Kleiderkammer«, flüsterte sie. »Rasch hinein.« Sie reichte Arnaut den Schlüssel, den sie vom Bund gehakt hatte. »Sie werden euch bald überall suchen. Am besten, ihr schließt euch ein. Wartet, bis es dunkel wird. Ich überlege mir, wie ich euch hier herausbekomme.«
    Dann war sie weg, und Arnaut schloss die Tür hinter ihr ab.
    Ermengarda ließ sich völlig benommen auf eine Truhe sinken. Ihr Herz raste wie wild. Sie sahen sich an. Auch Arnaut schien um Fassung zu ringen. Er atmete heftig, und seine Stimme klang seltsam brüchig, als er sprach.
    »Ich habe noch nie zuvor einen Menschen getötet.«

Der dunkle Fluss
    W ährend die beiden Flüchtenden in ihrem Versteck ausharrten, hatte man die Tür zur Kammer aufgebrochen und die Leiche in Ermengardas Bett gefunden. Sie selbst war verschwunden. Die
vescomtessa
erbleichte, als man ihr flüsternd berichtete. Niemand solle etwas wissen, ordnete sie an. Das Fest müsse weitergehen. Sie befahl Tibaut, sich um die Sache zu kümmern, und vor allen Dingen müsse er schleunigst Ermengarda finden.
    Tibaut warf einen Blick in die Kammer. Die Wachen hatten die Decke von dem Leichnam gezerrt und auf den Boden geworfen. Mit ihren Stiefeln hatten sie achtlos auf dem kostbaren Nachtgewand herumgetrampelt. Er hob es auf und legte es vorsichtig auf eine Truhe. Dann befragte er die Männer.
    Sie hatten den Toten nie zuvor gesehen. Er trug das Abzeichen der Tolosaner Söldner auf der Brust. Das Blut auf dem Bett war anscheinend nur sein eigenes. Das hieß, Ermengarda lebte. Aber wo war sie? Hatte der Tote sie bedroht? Wer hatte ihn umgebracht? Denn dass die junge Erbin dies getan hatte, schloss Tibaut sofort aus.
    Er suchte nach einer Waffe und fand nichts, außer achtlos hingeworfenen Kleidern, darunter auch das Brautgewand, ein wenig billigem Leinenstoff und Schnüren.

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