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Die Comtessa

Die Comtessa

Titel: Die Comtessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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sie unter Umhängen und Mänteln versteckt. Nun holte sie es hervor und warf es auf die Lagerstatt.
    Dass Raimon de Narbona sich Felipe angeschlossen hatte, um sie zu befreien, überraschte sie. Sie kannte ihn als freundlichen jungen Mann, der sich jedoch nie besonders hervorgetan hatte. Mehr als drei Worte hatte sie kaum jemals mit ihm gewechselt, obwohl sie ihn oft im
palatz vescomtal
gesehen hatte. Einer der vielen Höflinge von adeligem Blut, die zu Ermessendas Hofstaat gehörten und von ihrem Tisch aßen.
    Sie fand ihren kleinen, silberverzierten Dolch, ein Geschenk des Vaters, und schnitt hastig die Schnüre auf, die die Leinenhülle zusammenhielten. Die Sachen nahm sie heraus, hielt sie sich kurz vor den Leib, warf sie wieder aufs Bett. Es waren Kleider aus festem Material, wie Männer sie auf der Jagd trugen. Vielleicht ein bisschen groß, aber sie würden in etwa passen.
    Sie setzte sich, versuchte, sich zu beruhigen.
    Es kam ihr alles so unwirklich vor. Bis vor wenigen Tagen noch war ihr Leben in gewohnten, eher langweiligen Bahnen verlaufen. Täglich übte sie ihr Latein anhand der Bibel und schrieb ganze Seiten ab. Ansonsten Stickereien und Nadelarbeit mit den anderen Frauen des Hofes, deren ewiges Gerüchtekochen ihr oft zu viel wurde. Es gab kein Geheimnis in diesem Haus, nein, in der ganzen Stadt, das hier nicht lang und breit ausgewalzt und durchgehechelt wurde. Wenn so mancher stolzer
senher
nur wüsste, wie man hier über ihn lästerte.
    Das Aufregendste in ihrem Leben waren die Ausritte zur Falkenjagd und die gestohlenen Stunden mit
Paire
Imbert. Und natürlich das kleine Büchlein, das sie unter ihrem Kissen versteckt hielt und zu ihrer eigenen Beschämung der Stiefmutter entwendet hatte. Sie hatte einfach nicht widerstehen können. Obwohl – oder gerade weil – es für eine junge
donzela
die unpassendste Lektüre war, handelte es sich doch um eine Abschrift der empörenden Verse Ovids, sehr beliebt bei den wandernden
trobadors
und
joglars,
die oft bei Hofe weilten.
    Und dann, mit einem Schlag, war alles anders geworden.
    Da waren Dinge über sie hereingebrochen, die ihre Welt völlig auf den Kopf gestellt hatten. Heute vor der Kirche, als Alfons ihr seinen Ring aufgesteckt hatte, war ihr mit einem Mal alles in seiner ganzen Tragweite bewusst geworden. Dieser fremde Mann neben ihr wollte sie zur
Comtessa
von Tolosa machen, zur Herrin des mächtigsten Fürstentums im Süden des Frankenreiches. Sie hatte gezittert und wäre fast unter diesem Gewicht zusammengebrochen. Alle hatten sie ehrerbietig angestarrt. Es schien Gottes Wille zu sein. Wie konnte sie sich widersetzen?
    Schon in wenigen Stunden würde man sie abholen, um für immer an der Seite dieses Mannes zu leben. Was tat sie also hier mit Fluchtkleidern auf dem Bett? Auf einmal kam ihr der ganze Plan so kindisch vor. Hoffnungslos eigentlich. Glaubte sie wirklich, es würde ihr gelingen, zu entfliehen? War doch die Stadt voller Soldaten. Oder glaubte sie gar, dass man sie mit offenen Armen in Carcassona empfangen würde? Wer würde Verständnis für eine Braut haben, die am Hochzeitstag ihrem jüngst angetrauten Gemahl entflohen war? Sie biss sich auf die Unterlippe, bis es schmerzte. Was sollte sie nur tun?
    Da klopfte es an die Kammertür.
    Sie sprang auf. O Gott! War es denn schon so weit?
    »Die Näherin schickt mich, Herrin«, hörte sie durch die Tür.
    »Was ist denn?«
    »Euer Nachtgewand für heute Abend.« Die Magd konnte ihr Kichern nicht zurückhalten. »Ihr müsst es anprobieren.«
    Ermengarda zog den Riegel zurück und steckte den Arm durch den Spalt. »Gib her. Und jetzt lass mich in Ruhe. Ich bin todmüde. Sag allen, ich muss ein paar Stunden schlafen, sonst stehe ich das nicht durch.«
    Sie schloss die Tür, legte den Riegel vor und ließ sich heftig atmend auf den Stuhl sinken. Das neue Nachtgewand rutschte ihr dabei vom Schoß und taumelte zu Boden. Weiße Damastseide mit samtenen Borten, kostbar bestickt. Allein der kunstvoll gewebte Stoff aus dem fernen Orient war ein Vermögen wert. Noch nie hatte sie so etwas getragen.
    Aber dann sah sie Alfons’ Gesicht vor sich, den blauen Schimmer auf seinen fülligen Wangen, die ersten Anzeichen von Tränensäcken, die plumpen Hände, die in der Kirche nach ihr gegriffen hatten. Das erinnerte sie, wozu das Gewand dienen sollte. Ihr schauderte.
    Sie erhob sich, stieß das Damasthemd mit dem Fuß beiseite, legte in Eile ihr Hochzeitsgewand ab und begann, in die Männerkleider zu

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