Die Comtessa
Schnüre? Das sah nach einer Verpackung aus. Er bückte sich und nahm Stoff und Schnüre an sich. Dabei bemerkte er einen ledernen Reisebeutel und kehrte den Inhalt auf dem Bett aus. Frauenkleider, Unterwäsche, nichts Besonderes. Neben dem Bett ein offenes Schmuckkästchen. Ein paar Ohrringe, Armreifen. Er wollte es schon schließen, als ihm der Ring ins Auge stach. Aber das war doch Alfons’ Ring. Erst heute Morgen in der Kirche hatte er ihn an ihrem Finger gesehen.
»Findet Ermengarda«, trug er dem
capitan
der Wache auf. »Aber so, dass niemand etwas merkt. Wir wollen die Gäste nicht beunruhigen. Vor allen Dingen nicht den Grafen.«
»Die Leiche trägt sein Abzeichen«, erwiderte der Mann misstrauisch. »Wie erklärt sich das?«
Tibaut zuckte mit den Schultern. »Wir werden sehen. Jetzt beeilt euch, die
donzela
zu finden. Aber ohne Aufsehen.«
Als die Wachen sich auf die Suche machten, betrat
Domna
Anhes die Kammer. Sie nahm sofort das mit Stiefelspuren beschmutzte Nachtgewand an sich und versuchte kopfschüttelnd, den Stoff zu glätten.
»Es ist gerade erst von der Näherin gekommen. Und nun schaut her, wie es aussieht!«
Was redet die Frau über ein verdammtes Nachthemd, wenn die Erbin von Narbona verschwunden ist?, wunderte er sich. Aber dann fiel ihm etwas ein.
»Wer hat ihr das gebracht?«
»Ihre Magd wahrscheinlich.«
Als
Domna
Anhes auf seine Anweisung hin die Magd holte, schüttelte diese beim Anblick des Leinens und der Schnüre den Kopf. Nein, das Nachtgewand sei unverpackt gewesen.
Während Tibaut langsam die Stiege hinunterging, um la Bela zu berichten, dachte er nach. Wozu hatte sie eine Reisetasche gepackt, aber den Ring zurückgelassen? Was bedeuteten Leinen und Schnüre?
Plötzlich traf es ihn wie mit einem Hammer. Sie ist geflohen, und jemand muss ihr dabei geholfen haben, hatte ihr wahrscheinlich Kleider gebracht. Und derjenige hatte auch den Kerl getötet, der sie überrascht hatte. Ein Mann also. Die Tasche hatten sie zurücklassen müssen. Das war mit Sicherheit kein unüberlegter Fluchtversuch. Die kleine Hure muss das seit Tagen vorbereitet haben. Kaum zu glauben. Mit so etwas hatte niemand gerechnet.
»Was ist?«, hauchte la Bela besorgt, als er sie in eine Ecke der
aula
zog. »Was ist geschehen?«
»Nichts Gutes,
Domina
«, raunte er.
***
Ermengardas wildes Herzklopfen hatte sich etwas gelegt, obwohl die gegenwärtige Lage, eingesperrt, wie sie waren in dieser Kleiderkammer, nicht gerade vielversprechend war. Wie sollten sie nur unbemerkt aus dem Palast entkommen, wenn inzwischen alle Welt nach ihnen suchte? Ermessendas Wut konnte sie sich lebhaft vorstellen. Wie der Graf von Tolosa ihren Fluchtversuch aufnehmen würde, war ihr dagegen gleichgültig.
Nachdem alles anders gekommen war als geplant, machte sie sich nur noch wenig Hoffnung auf einen erfolgreichen Ausgang. Wäre sie allein gewesen, hätte sie sich längst aufgegeben. Was konnte ihr schon geschehen?
Aber nun hatte sie diesen fremden Ritter in die Angelegenheit verwickelt. Ihretwegen hatte er einen Mann umbringen müssen. Ihr war bewusst, dass man Arnaut nicht so leicht davonkommen lassen würde. Das schreckliche Bild des Galgens, dort draußen vor der Stadt, erschien vor ihren Augen. Sie fühlte sich elend und voller Gewissensbisse.
Dass Arnaut jetzt so ruhig wirkte, erstaunte sie. Vielleicht beherrschte er sich nur. Die hochgewachsene Gestalt, seine körperliche Stärke und das scheue Lächeln, mit dem er sie gelegentlich aufzumuntern versuchte, gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit, auch wenn es ein trügerisches Gefühl war. In jedem Fall tat ihr seine Gegenwart wohl.
Verstohlen beobachtete sie ihn aus den Augenwinkeln. Arnaut hatte auf einer anderen Truhe Platz genommen und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Bestimmt grübelte er über einen Ausweg nach. Sie mochte sein offenes Gesicht, in dem man jede Gemütsregung lesen konnte. Doch ohne es zu wollen, fiel ihr Blick auf seine blutverschmierte Hand. Der grässliche Vorfall wollte ihr nicht aus dem Sinn. Wie war es möglich, ein Lebenslicht so schnell auszulöschen? Und was war Arnaut für ein Mensch, dass er dazu fähig war? Fast hatte sie sie ein wenig Angst vor ihm.
»Kanntest du den Mann?«, fragte er, als hätte er ihre Gedanken erraten.
Sie versuchte, sich an ein Gesicht zu erinnern, das sie im Schrecken des Augenblicks nur undeutlich wahrgenommen hatte. Spärliches dunkelblondes Haar, schmale Nase, fleischlose Lippen. Sie schüttelte den
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