Die Comtessa
schlüpfen. Es dauerte eine Weile, während sie mit den ihr fremden Kleidungsstücken kämpfte. Beinkleider aus dünnem Leder, die man an den Kniekehlen festschnürte, darüber enge Hosen, ebenfalls aus weichem Leder, die bis über das Knie fielen. Eine Tunika aus gutem Leinen, mit breitem Gürtel um die Mitte. Stiefel waren nicht in dem Paket gewesen. Sie zog ihre eigenen Reitstiefel über.
Als sie an sich herunterblickte, merkte sie, dass die Rundungen ihrer Brüste immer noch zu offensichtlich in Erscheinung traten. Sie zerrte die Tunika wieder über den Kopf, fand einen breiten Seidenschal und band ihren Busen flach an den Leib. Die Enden befestigte sie mit einer Gewandnadel. Jetzt saß die Tunika besser. Sie schlüpfte in ein offenes, wattiertes Lederwams mit weiten Ärmeln. Es war etwas zu breit in den Schultern. Zuletzt probierte sie den Umhang aus unbearbeiteter, wasserdichter Wolle, weit genug, um ihre Gestalt zu verbergen.
Den Schmuck durfte sie nicht vergessen. Sie öffnete eine kleine Schatulle. Da lag Alfons’ Ring aus schwerem Gold. Den würde sie zurücklassen. Ansonsten gab es wenig Wertvolles, das sie besaß, außer einem Goldkettchen mit Rubinanhänger, dem Lieblingsstück ihrer Mutter. Der in dünnem Gold gefasste Stein war rund und glatt geschliffen, in Form eines Tropfens, tiefrot mit einem Stich ins Bläuliche. Taubenblut, so nannte man diese Farbe. Er schien aus dem Inneren zu leuchten, wenn man ihn ans Licht hielt, wie ein Tropfen vom heiligen Blut des Erlösers.
Rasch legte sie die Kette um und versteckte den Stein unter der Tunika. Zur Prüfung starrte sie in den polierten Kupferspiegel an der Wand. Mein Gott, die Haare! Sie griff zur Schere. Aber sollte sie wirklich ihre langen Haare, auf die sie stolz war und so viel Mühe verwandte, einfach abschneiden? Wieder überfielen sie heftige Zweifel an dem ganzen Unterfangen. Sie musste verrückt sein, wie
Paire
Imbert gesagt hatte.
Sie war noch mit der Schminke beschäftigt, um ihre blauen Flecke abzudecken, als es vom Glockenturm der Kathedrale zum
nonus
läutete. Sie erschrak, denn das war die verabredete Stunde. Der Klang der schweren Glocke hatte etwas Schicksalhaftes. Es kam ihr wie die Stimme aus dem Jenseits vor. Als rufe sie ihr Vater. Ja, sie hatte es fast vergessen. Für ihn nahm sie all dies auf sich. Für ihn und die lange Reihe ihrer Vorfahren.
Hastig steckte sie ihr Haar mit Nadeln hoch, dass keine Strähne sie verraten mochte, wand ein dunkles Seidenband um den Kopf und setzte sich die Jägermütze auf, deren Krempe Stirn und Ohren bedeckte. Den Dolch schob sie in den Gürtel und holte tief Atem. So musste es gehen.
Plötzlich sah sie das Büchlein mit den Versen Ovids beim Bett liegen. Besser, sie nahm es mit, damit niemand merkte, dass sie so etwas las. Den Empfehlungsbrief, den der Abt ihr gestern in aller Eile verfasst hatte, legte sie hinein und steckte beides in die Tunika, die sie am Hals verschnürte. Auch den Opferstock hatte er für sie geplündert, denn das Geld des Klosters war bei den Juden in Verwahrung. Sie verstaute die Handvoll Münzen in ihrer Gürteltasche.
In diesem Augenblick klopfte es an die Kammertür. Sie schrak auf. Zweimal kurz, einmal lang. Das war das Zeichen. Ihr Herz schlug ihr bis in den Hals, als sie entriegelte und vorsichtig nur ein klein wenig öffnete. Durch den Spalt erkannte sie Arnauts sonnengebräuntes Gesicht.
»Komm schnell«, flüsterte er.
Sie schlüpfte durch die Tür in den dunklen Gang, schloss hinter sich ab und steckte den Schlüssel in ihr Wams. Er musterte sie kurz von oben bis unten und nickte dann.
»Das muss genügen. Raimon wartet unten.« Er schaute sich um. Niemand war zu sehen. »Komm!«
Er bewegte sich leise auf eine Hintertreppe zu, die er zuvor genommen haben musste, um zu ihrer Kammer zu gelangen. Sie folgte ihm. Sie war erstaunt, dass er unbewaffnet war.
»Warte! Ich habe etwas vergessen«, flüsterte sie.
Wie konnte sie nur so dumm sein und ihre Reisetasche liegenlassen, die sie gestern Abend so sorgfältig gepackt hatte? Sie hastete zu ihrer Kammer zurück und zog den Schlüssel aus dem Wams.
Doch sie kam nicht mehr dazu, ihn in das Türschloss zu stecken, denn plötzlich war ein dunkler Schatten über ihr. Sie schrie und taumelte zwei Schritte zurück. Eine Klinge blitzte auf. Ermengarda stolperte, sank in die Knie, hob schützend den Arm.
Arnaut, vom Angreifer noch nicht bemerkt, handelte schneller, als es dauert, mit den Augen zu blinken, stürzte
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