Die Containerfrau
witzig.
»Kannst du nicht Buchhalterin werden«, stöhnt der Mann unter ihr. »Oder Kassiererin im Supermarkt? Kindergärtnerin? Hausfrau?«
Anne-kin grinst. »Soll das ein Heiratsantrag sein?«, fragt sie. »Hausfrau? Weißt du nicht, dass die meisten Unfälle zu Hause passieren? He?« Er gibt keine Antwort, ist absolut damit beschäftigt sich Tannennadeln aus dem Gesicht zu fischen.
»Du bist so verdammt lange geblieben. Herrgott, ich hatte solche Angst. Blödes Frauenzimmer!« Er packt ihre Schultern, zieht sie nach unten, zieht sie an sich. Sie nimmt den Geruch von Waldboden und Mann wahr. Von Stein-Jørgen. Er riecht nach Salz. Nach salzigem Schweiß. Nach frischem Schweiß. Sie lässt ihre Zunge über seinen Hals gleiten. Hört ein Stöhnen. Schaut in Augen, die so tief sind, dass nicht einmal Pan mithalten kann, sieht darin ihr eigenes Spiegelbild, konvex, es fließt auseinander, wächst über Pupille und Iris hinaus, bis es die ganze Hornhaut bedeckt. Anne-kin schließt die Augen, sie will nicht ihr eigenes Spiegelbild lieben, sie will seine Hände spüren, seinen Geruch in sich einsaugen, will seine Hüftknochen spüren, die zuerst ein wenig pressen, und dann noch ein wenig, will Hände spüren, die zu ihren Hüften gleiten, zu ihrem Bauch, die ein wenig zudrücken, die gerade so leichtfest zudrücken, dass ihr ein Schauer durch den ganzen Leib jagt.
Die Ameisen auf dem Heimweg zu ihrem Hügel erleben an diesem Frühherbstabend im Wald bei Trondheim ihren ersten Anschauungsunterricht zum Thema menschliche Vermehrung. Die braunen Plackerinnen eilen in geordneter Formation nach Hause und möchten lieber nicht als Menschen wieder geboren werden.
Oben am Hang, unter einem Damm, lässt ein Mensch sein Fernglas sinken. Und dann breitet sich über seinem Gesicht ein breites Grinsen aus.
»Da hat die Frau Polizei sich ja eine glühend heiße Nummer geholt«, sagt der Mensch. »Das sei dir gegönnt, Halvorsen. Das war keine Vergewaltigung, das nicht, und wenn doch, dann bist du die Täterin!«
Saftig, diese Mädels aus Lamo.
Was sein Fernglas nicht sieht, ist eine Plastiktüte mit einem Messer, die unter einem umgekippten Baum verschwindet und dann mit einem Schwupp in einem Tümpel versinkt.
13
Der anonyme »Tipp« wird von Sundt absolut ambivalent aufgenommen. Der Chef hat eine seltsame Art, durch sie hindurchzusehen, denkt Anne-kin. Oder vielleicht bildet sie sich das nur ein, weil sie eigentlich ein schlechtes Gewissen hat, und überhaupt? Das sollte sie zumindest. Nach langer, langer Zeit sieht er sie an und sagt:
»Interessant, Halvorsen. Dieser anonyme Tipp ist sehr interessant. Wir werden unsere ›Jeans-Schnüffler‹ darauf ansetzen.« Sundts leicht herablassende Miene, ihm wäre es lieber, die ganze Truppe wäre frisch gewaschen und adrett gekleidet, denkt Anne-kin erleichtert. Erleichtert, weil er nicht weiter über diesen »anonymen« Anruf redet. »Wie schon heute Morgen gesagt«, fügt er hinzu, »haben wir keinen Vorsprung mehr, wir haben vernommen …« Er blättert im Papierstapel, der vor ihm liegt, »wir haben die Mannschaften der Schiffe vernommen, die zum aktuellen Zeitpunkt im Hafen lagen, wir haben mit fast allen LKW-Fahrern geredet, die in der Gegend waren, haben Routen und Ladungen überprüft, haben mit den Firmen in Nyhavn gesprochen, die Waren bekommen und versandt haben, wir haben überhaupt …«
Ohne Resultat, denkt Anne-kin.
»Das einzig Positive in der ganzen Misere ist, dass wir versuchen, den armen Jungen zu schützen, der die Steine in den Container geworfen hat. Er hat Zeitungen gelesen«, sagt Sundt, »und zwei und zwei zusammengezählt und festgestellt, dass die Steine und der Mörtel, die er geworfen hat, vielleicht zum Tod einer Frau beigetragen haben können.«
Anne-kin Halvorsen stöhnt.
»Er ist an einen Experten überwiesen worden«, sagt Sundt, als Antwort auf ihr Stöhnen. »An einen Psychiater, der dem Jungen klarmacht, dass er wirklich keinerlei Schuld trägt«, fügt er nach einer Weile hinzu. »Die Einsatzwoche ist jetzt vorbei, er geht wieder zur Schule. Der Arbeitgeber hat ihm ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt, und die Zusammenarbeit mit der Schule verläuft äußerst positiv.«
»Wie schön«, sagt sie schwach. Sieht vor sich, wie ihr Bruder Kristian schluchzend auf seinem Bett liegt und jammert: »Ich war das nicht, ich war das nicht! Ich wollte das nicht! Ich habe nur ein paar Steine in den Container geworfen. Tapetenreste und solchen
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