Die Containerfrau
Segen?«
»Lass Sundt aus der Sache raus«, faucht sie. »Ich seh das kein bisschen moralisch. Ich will nur sichergehen, dass das keine Falle ist, dass niemand mich in einen Hinterhalt locken will.«
»Hast du in letzter Zeit mal wieder Kollegen vergrätzt?«
»Darauf antworte ich nicht. Aber wirklich, wenn ich mich innerhalb von drei Stunden nicht bei dir gemeldet habe, dann stimmt etwas nicht.«
»Ach, und was soll ich dann machen?«
»Weißt du noch, wie wir im Frühling im Wald waren, und wie ich dann zum anderen Ufer hinübergenickt und gesagt habe, dass dort eine Biberhütte liegt?«
Das weiß Stein-Jørgen noch.
»Da ist das.«
»Und wer wohnt dort?«
»Ein guter alter Knabe aus Østerdalen, lebt vom Messerverkauf und ist zeitweise trocken.«
»Und er heißt?«
»Er wird der ›Türke‹ genannt.«
»Und du bist sicher, dass er seine Messer nicht an dir ausprobieren will?«
»Der ›Türke‹ doch nicht. Aber der, der angerufen hat, der mit dem nachgeahmten Østerdalsakzent, der hat das vielleicht vor.«
»Der Teufel soll dich holen, Anne-kin«, ruft er in den Hörer. Aber Kommissarin Halvorsen hat schon aufgelegt.
12
Mit Schnaps im Rucksack und einer Spraydose in der Hand wandert Anne-kin Halvorsen in einen herbstfarbenen Wald. Ihr begegnen ein paar Jogger, dann verlässt sie den Weg. Folgt einer fast unsichtbaren Tierspur weiter in den Wald hinein. Hoher, klarer Herbsthimmel, sie fühlt sich wohl, als sie hier ausschreitet, vergisst fast, warum sie hier ist. Der Laubwald geht in Nadelwald über, dicke Tannen mit Zweigen, die kein Sonnenlicht durchlassen. Der Waldboden liegt im Schatten. Weicher federnder Boden. Sie liebt solche Märchenwälder, wo Pan hinter jedem Baumstamm lauert. Sie fühlt sich sicher im Wald, das war immer schon so. Jetzt auch, trotz ihres suspekten Unternehmens.
Am abgemachten Ort setzt sie sich hin. Es ist eine kleine Felskuppe, in guter Fernglasentfernung vom Damm. Sie kehrt dem Damm den Rücken zu und stößt einen Vogelpfiff aus, der ansonsten in der norwegischen Fauna nie vorkommt. Egal, sie ist keine Tierstimmenimitatorin. Dieser Denunziant ist offenbar ein Scherzkeks. Sie begreift nicht, was das alles soll. Dann nähert sie sich der Höhle, dem »Bau«, bleibt stehen und schaut sich um. Will er sie nicht hereinbitten? Sie hat wirklich keine Lust, einfach so hineinzuschauen. Anne-kin Halvorsens Kopf landet aber trotzdem im Bau, zuerst der Kopf, dann ihr restlicher Körper. Wütend und verängstigt liegt sie auf allen vieren da. Er muss indianischer Abstammung sein, hat sich lautlos von hinten an sie angeschlichen. Der »Türke« ist er jedenfalls nicht. Dieser hier ist viel kleiner, schlanker, jünger. Sie setzt sich auf, streift den Rucksack ab. Versucht, sich nichts anmerken zu lassen.
»Was für ein grobes Willkommen«, sagt sie. »Du hättest die Flasche zerbrechen können.« Er grunzt nur, streckt die Hand aus, lässt sich die Flasche geben. Stößt einen leisen Pfiff aus.
»Aus dem Ausland mitgebracht?«, fragt er. Sie nickt. Sieht zu, wie der Mann ihren Weihnachtsaquavit öffnet und einen Schluck nach dem anderen kippt. Dann hält er ihr die Flasche hin. Kommissarin Halvorsen schüttelt den Kopf.
»Trink nie im Dienst«, sagt sie. Er grinst, trinkt noch einmal. Sie hört, wie er etwas von »welch hohe Moral« murmelt. Der Mann redet wie jemand aus Trøndelag, sie versucht im Halbdunkel sein Gesicht zu mustern. Gar nicht leicht, er sitzt vor der Türöffnung, hat das Licht im Rücken, gut durchdachte Regie.
»Wo steckt der ›Türke‹«, fragt sie. »Hat er dir dieses Quartier geliehen oder was?«
Er gibt keine Antwort. Trinkt nur. Vor ihr sitzt ein durstiger Teufel.
»Ist in sein Tal zurückgekehrt«, sagt er endlich. »Hat ’ne Kate und ’n Stück Wald geerbt und ist in’n tiefen Wald heimgekehrt.« Er lacht über seinen eigenen Witz.
»Klasse«, sagt Anne-kin. »Ich hatte schon Angst, er könnte in den Wasserfall gestürzt sein.« Der Mann stutzt. »Hier gibt’s keinen Wasserfall«, sagt er sauer. Sie schweigt. Besser, die Sache nicht zu übertreiben.
»Ich weiß Bescheid über dich«, sagt er plötzlich.
Das ist mehr, als ich über dich sagen kann, denkt sie.
»Du gehörst eigentlich gar nich zur Bullerei.«
»Nein, aber ich bin nun mal dort gelandet.«
»Deshalb hab ich dich angerufen.« Pause.
»Das war so’n Drogenkind«, sagt er dann plötzlich. »So ’n Drogenmädel, das sich von der Herde wegverirrt hatte.« Neue Pause. Neue
Weitere Kostenlose Bücher