Die Containerfrau
wissend, dass sie nicht ihrer Sicherheit zuliebe hier liegt, dann läge sie in ihrem eigenen Bett hinter den polizeilichen Absperrungen, während die Kollegen vor ihrer Tür hin- und herliefen. Ihr Haus muss im Moment das sicherste Haus der Stadt sein, schließlich rennt die Polizei da doch aus und ein. Nicht deshalb will der gute Sundt sie nicht dort haben. Sondern, weil er Ahnung von Zirkuspferden und von Sägemehl hat. »Weg vom Sägemehl, Halvorsen, und hinein ins Hotel. Schlaf gut.«
40
Kommissarin Halvorsen schläft eine Stunde. Zwei. Drei. Dann schleicht sich etwas Vages in ihren Traum, ein stöhnendes Geräusch, das immer näher kommt. Die Decke ist heruntergeglitten, sie zieht sich das Kissen über den Kopf. Vergeblich. Das Geräusch von etwas Schwerem, Massivem, das sich näher und näher keucht, lässt sich nicht aussperren. Ein endloses Geräusch, das einfach mit seinem Lärm nicht fertig werden kann. Mit schmalen Augen und total erschöpft teilt sie die Vorhänge ein wenig und schaut hinaus. Ein endlos langer Güterzug, Wagen um Wagen, Container, Chemikalienwaggons, Autos in zwei Etagen und ein Höllenlärm, als der Zug sich an Lamoen, Lilleby, Leangen vorüberstöhnt und dann gen Norden verschwindet. Inzwischen ist sie hellwach. Gereizt und schweißnass. Der Schweiß verschwindet unter der Dusche, der Ärger nicht. Es hat keinen Sinn, es noch einmal mit dem Sandmännchen zu versuchen, sie reißt die Decke vom Boden hoch, merkt, dass sie Hunger hat. Nach Hause, jetzt will sie nach Hause.
Den Kühlschrank plündern und jemanden von der Technik, falls die noch am Tatort weilen, zum Kaffee hereinbitten. Ehe sie geht, ruft sie den Kollegen an, der vor einem Krankenzimmer Wache hält, und erfährt, dass der Zustand des »Spatz« stabil ist. Bewusstlos, aber am Leben.
Der Tag draußen ist hellgrau und still, jetzt, wo der Güterzug verschwunden ist. Die Luft hat etwas Sattes, es riecht ein wenig scharf, würzig – der Duft des frühen Herbstes. Statt den direkten Weg durch den Mellomveg zu nehmen, biegt Anne-kin Halvorsen nach rechts ab und schlendert zum Hafen hinunter, zum Strandvegkai, vorbei an den riesigen Deutschenbunkern. In Nyhavn ist der Betrieb wieder voll in Gang, die Absperrungen sind schon längst verschwunden, der Container ist entfernt worden und die Gegend sieht aus wie eine normale Hafengegend. LKW und Lastzüge sind gekommen und gefahren, Schiffe haben angelegt und dann das Hafenbecken wieder verlassen. Nur der eine Fischkutter, der Gefrier-Trawler, der seine Ladung nach Ålesund bringen sollte und dann irgendeinen Maschinenschaden hatte, weshalb er in Trondheim Station machen musste, liegt noch dort. Sie stutzt, ihr fällt ein, dass der Kapitän gesagt hat, die Maschinenfirma an Land habe Ersatzteile bestellt und eine rasche Reparatur versprochen. Aber das scheint nicht geklappt zu haben. Haben sie wirklich Zeit und Geld genug, um hier untätig zu liegen und abzuwarten? Außerdem sagen ihre ihre geringen Fischereikenntnisse, dass der September nicht gerade der große Fangmonat ist. Die vier Männer an Bord hatten durchaus brauchbar gewirkt. Zwei waren schweigsam und wortkarg, einer wortreich und erregt über das, was an Land passiert war, während sie hier vor Anker lagen. Der Vierte, der Jüngste, riss die ganze Zeit miese Witze. Und wiederholte mit irgendeinem klangvollen nordnorwegischen Akzent nach jedem zweiten Satz: »Ja, Scheiße, das kann doch nicht sein«. Ihre Papiere waren in Ordnung, sie hatten ihre lange Tour die Küste hinunter damit begründet, dass in Ålesund die besten Preise gezahlt würden. Die Mannschaft war im Norden an Land gesetzt worden, denn wenn sie nicht fischten, brauchten sie nur vier Leute an Bord. Sie versucht sich daran zu erinnern, was dem Schiff »gefehlt« hat. War das nicht irgendetwas mit den Gefriermaschinen? Etwas hatte seinen Geist aufgegeben, und deshalb mussten sie hier anlegen und ihre Ladung löschen, ehe die Fischfilets sich von selbst bewegen konnten. Als die Polizei das Boot durchsucht hat, konnte sie weder Schmuggelschnaps noch versteckte Frauen finden. Auch in den Kajüten gab es keine Spur von Frauen. Nicht einmal von Ehefrauen.
»Wir nehmen keine Frauenzimmer mit auf See«, damit war das Fehlen von weiblichen Requisiten an Bord erklärt worden. »Und wir haben auch keine.« Ob die Polizei nicht wisse, dass im Norden Frauenmangel herrsche? »Und wenn wir nicht verhaftet werden, dann könntet ihr uns vielleicht verraten, wo wir hier in
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