Die Containerfrau
Begegnung mit einem Revolverlauf im Nacken und einem gefährlichen, verängstigten Mädchenfinger am Abzug machen musste.
»Ich habe den Festanschluss benutzt, Sundt«, sagt Anne-kin leise. »Mein ganz normales Telefon, das auf dem Schreibtisch steht. Nicht das Handy.«
»Das Handy war aber nicht ausgeschaltet«, sagt er. Sie schüttelt den Kopf. »Dann lässt es sich aufspüren, platzieren.«
Verdammt, denkt Anne-kin Halvorsen. Verdammt, was für eine Welt. Der Große und andere Brüder sehen dich, was immer du tust. Du bezahlst mit Kreditkarte. Karte oder Scheck zweimal pro Monat im Alkoholladen, und du wirst als Alkoholikerin abgestempelt, bezahl per Kreditkarte eine Reise ans Mittelmeer und dein Briefkasten quillt über vor Reiseprospekten, sei blöd genug um dir per Plastikkarte Tulpenzwiebeln zu kaufen und wirst zugemüllt mit Katalogen für Blumen und Gartenmöbel, da du auf einer Liste von potenziellen Blumenkäuferinnen gelandet bist.
»Scheiße!« Sie knallt mit der Faust gegen die Wand.
»Ja«, antwortet ihr Chef. Sie hat keine Ahnung, worauf er da antwortet.
»Sie müssen Zugang zu einer avancierten Technologie haben«, sagt er. »Wenn du Recht hast, meine ich.«
»Und sie haben gewartet, bis wir auf der Treppe standen. Haben auf einen Augenblick gewartet, auf den Augenblick. Damit sie den ›Spatz‹ unschädlich machen, sie umnieten und danach verschwinden konnten.« Sundt nickt.
»Verdammt tüchtig«, murmelt sie. »O Teufel, wie verdammt tüchtig.«
Kommissarin Halvorsen schwankt, ihr Körper ist schwer und müde. In ihrem Kopf knistert alles, als sie versucht, einen höheren Gang einzulegen.
»Hör mal«, sagt Anne-kin Halvorsen, ihre Augen kommen ihr vor wie transplantiert und vom Körper abgestoßen. »Hör mal. Ist der Fahrer aus Nyhavn, der, den wir aufgehalten hatten, ist der überprüft worden? Oder fährt er eine Ladung nach Polen? Und was ist mit dem Bürovorsteher mit der Geliebten? Einer spurlos verschwundenen Geliebten. Was ist mit ihm, mit ihr? Hast du Zeit gehabt, um das genauer …«
Plötzlich verstummt Anne-kin Halvorsen, weiß, dass Sundt vermutlich das alles und noch viel mehr längst erledigt hat. Ihre Kollegen arbeiten wie besessen mit der Frage, wer war wo und wann und warum, wenn es um die Leute geht, die in jener Nacht vor vierzehn Tagen in Nyhavn waren. Als der »Säufermord« begangen wurde. Was zu schicksalhaften Folgen für drei Frauen geführt hat. Denn jemand hat sich vor dem Polizeieinsatz mit Blaulicht so gefürchtet, so verdammt gefürchtet, dass diese drei Frauen resolut in den erstbesten Müllcontainer entsorgt worden sind. Den Container der Hafendirektion. Drei Frauen, die von Drogen dermaßen zugedröhnt waren, dass sie in Schlaf und Abfällen versunken sind und am nächsten Tag unter Sturzwellen von effektiven Aufräumarbeiten und Steinen und Tapetenfetzen, Eternitplatten und Staub liegen blieben. Und am übernächsten. Begraben. Begraben in Staub und Dreck und Scheiß, mit minimaler, um nicht zu sagen, keiner Luftzufuhr. Sie sind einfach still und ruhig gestorben, während die, die in diese Frauen investiert hatten, wahrscheinlich in der Dunkelheit ihre Kreise um den Container drehten und den absolut unwillkommenen Säufermord in Nyhavn verflucht haben. Mit tagelangen Polizeiabsperrungen. Zutritt für Unbefugte verboten. Nicht die Sperre durchbrechen. Vergebliche Liebesmüh, zu erzählen, dass drei Stück Investitionsobjekte, drei Stück junge, schöne, tolle Fast- Jungfrauen hinter den Absperrungen einen stillen Tod erlitten. Und dass ihr Wert – und der Profit – von Stunde zu Stunde sank. Unten im Container lagen die Frauen und starben. Eingeklemmt und schwer verletzt, blutend und hilflos.
Das Gehirn von Kommissarin Halvorsen ist noch so wach, dass es das alles durchschaut. »Die Fantasie ist nur eine bleiche Nachahmung der Wirklichkeit.« Wer hat das noch gesagt? Irgendeine Schriftstellerin? Ein Philosoph? Ein Polizeichef? Ihr Vater? Ja, ihr Vater. In irgendeinem Zusammenhang.
»Sundt?« Anne-kin dreht sich zu ihrem Chef, ihrem Vorgesetzten um. »Du, Sundt? Haben wir die Möglichkeit, die zu überprüfen, die beruflich mit dem Hafen zu tun haben, festzustellen, ob jemand da so einen Handysuchhund hat?«
Sundt stöhnt. »Der Empfänger kann überall sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Juristen uns so einen Einsatz erlauben würden. Denk doch nur an die lange umständliche Prozedur, als wir …«
»Als wir im Mai die
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