Die Containerfrau
Uniform angezogen hat. So sieht es jedenfalls aus.
»Wir haben dein Geheul noch unten auf dem Hof gehört«, hört sie, »du hast tief in einem gediegenen Albtraum gesteckt.« Sie ist noch nicht ganz wieder da, zieht bei jedem Wort den Kopf ein, hält es für den Fliegenschwarm.
»Willst du deinen Traum erzählen? Was war das für ein Albtraum?« Das ist wieder Sundts Stimme, sie zittert ein wenig, ja, sie ist sicher, dass seine Stimme ein wenig zittert. Erzählen? Was soll sie erzählen? Dass sie wie Jesus auf dem Wasser gegangen ist?
Sie versucht sich zusammenzureißen, zurückzukommen.
»Irina«, sagt sie leise. »Wie geht es Irina?«
»Sie ist zu Bewusstsein gekommen«, ist die Antwort. Gott sei Dank, dann haben die Fliegen sie nicht erwischt, denkt Annekin, der noch immer ein Rest Albtraum im Leib sitzt.
»Aber sie ist noch nicht ganz da, braucht Ruhe«, Sundt streichelt plötzlich ihre Wange. »Und das brauchst du auch«, fügt er leicht verlegen hinzu.
»Ruhe«, erwiderte Anne-kin leise. »Ruhe scheint im Moment nur Albtraum zu bedeuten. Ich muss arbeiten, etwas tun.«
»Natürlich«, antwortet ihr Chef. »Du bist meines Wissens auch nicht beurlaubt worden. Und trittst morgen frisch und munter zur Schicht an? Vielleicht wäre eine kleine Schlaftablette eine gute Idee? Oder du erzählst von deinem Albtraum? Schaffst ihn dir aus dem Leib?«
»Ich brauche keine große Traumdeutung, Sundt«, antwortet Anne-kin Halvorsen, »das war alles ganz klar. Nämlich die Angst, dass ich es nicht an Land schaffen und als Geisel mitgenommen werden würde.« Sie erwähnt Irina und die Schmeißfliegen nicht. Und auch nicht die Lofotwand. Das sollen ihre »Details« bleiben. Sundt nickt. Diese Angst kann er verstehen.
»Die Ermittlungsleiterin hat uns erlaubt, das Boot zu entern«, sagt er. »Bei Ørlandet. Wir hatten es im Trondheimsfjord beobachtet und gesehen, wie etwas über Bord geworfen wurde.«
Anne-kin Halvorsen schließt die Augen. Ihr Handyspitzel, denkt sie, sie lassen also das wichtigste Beweismaterial über Bord gehen. Und das in einem Fjord, der so tief ist, dass weder Taucher noch der Arm des Gesetzes das Gerät wieder herausfischen können. Klasse Polizeiarbeit.
Sie starrt Sundt an. »Ja, und was jetzt?«, fragt sie.
»Das war leider wohl ihr Peilgerät«, murmelt er. »Aber der Zusammenhalt an Bord wirft jetzt Risse. Und alle vier sitzen derzeit auf der Wache.«
»Wirft Risse? Wie meinst du das?« Sie mustert Sundt gespannt. Sieht plötzlich, dass er mit einem Nicken ihren Kollegen, der in der Schlafzimmertür gestanden hat, aus dem Raum schickt. Der Kollege tippt an seine nicht vorhandene Mütze, die steckt in seiner Jackentasche, macht kehrt und ist verschwunden.
»Meine Güte, du hast vielleicht geheult, Halvorsen«, sagt er im Gehen. »Wir unten auf dem Hof haben gedacht, du würdest vergewaltigt.«
Das wurde ich auch, Kumpel. Aber das sagt sie nicht laut, sie lächelt ihn nur für einen Moment dankbar an.
»Danke«, sagt sie. Und liegt gleich darauf nicht mehr im Bett, zieht Jeans und Pullover an, achtet nicht auf Chef Sundts verlegenen Blick und fegt sie beide aus dem Schlafzimmer. Schließt die Tür hinter einem Albtraum aus Seeungeheuern, Schmeißfliegen, Lofotwänden, langen Eisschollen und gurgelnden Mooren. Knallt die Tür zu und setzt Kaffeewasser auf.
»Tee, wenn vorhanden«, sagt ihr Chef. »Ich trinke keinen Kaffee. Mit einem Löffel Honig. Hast du welchen?«
Das Leben sieht jetzt wieder fast normal aus.
43
Kommissarin Halvorsen tritt ohne Schrammen oder sichtliche Verletzungen auf der Wache an. Der Mann, der in ihrem Büro vor ihr sitzt, einem Büro, dessen Pappschild »Laufendes Verhör« dem Gang zugewandt ist, sieht nicht ganz so unversehrt aus. Sein Veilchen ist noch leuchtender gelbviolett. Richtig zugeschwollen ist sein Gesicht. Es ist schwer, seinen Blick einzufangen, meistens starrt er den Boden an. Und wenn er ein seltenes Mal aufblickt, sieht Anne-kin Halvorsen nur zwei schmale Striche, wo sich normalerweise Augen befinden. »Heftiges Fest«, hatte er im Hafen zu ihr gesagt. Aber das hat sie nicht für eine Sekunde geglaubt. Die Trondheimerinnen pflegen Gesichter nicht dermaßen systematisch zu zerstören, während hier jemand ausdauernd und in aller Ruhe an die Arbeit gegangen ist.
»Zeigen Sie mal Ihre Arme«, sagt sie. »Und Ihren Hals. Auch den Oberkörper.«
»Ja Scheiße«, ist die Antwort. »Soll ich hier etwa strippen?«
»Ja«, antwortet sie so samtweich
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